ZeitenGeist

Magazin für Kultur, Gesellschaft und Bewusstsein


Eine Frage der Ehre

Von Bernhard Horwatitsch – Gesellschaft

Eine Frage der Ehre

Kurze Vorrede

Für die nun folgenden Sätze und Seiten voller Sätze bitte ich die Leser darum ihre metaphorischen Sinne einzusetzen. Das ist viel verlangt, ich weiß. Aber dieser Text funktioniert nur bei Lesern, die es gut mit mir meinen. Und diese Leser spreche ich an. Für die Leser, die es nicht gut mit mir meinen, für die schreibe ich nicht. Warum sollte ich das auch tun? In Österreich würde man das „anwanzen“ nennen, sich anbiedern. Sich anbieten aber ist eine kapitalistische Unart. Im Kern ist ein Angebot immer ein Betrug. Niemand hat nachgefragt. Wäre dieser Text auf Nachfrage verfasst worden, müsste man sich um die geistige Gesundheit der Nachfragenden ernsthaft Sorgen machen. Stünde dieser Text tatsächlich in irgendeinem Regal, dann hätte ihn wohl jemand dort hineingestellt, dem es an Geschäftstüchtigkeit mangelt. Oder das genaue Gegenteil: ein gerissener Geschäftsmensch weckt das Verlangen nach diesem Text, stellt ihn ganz leutselig ins Regal, tut unschuldig, ach ja, der Text, ja, da habe ich gar nicht mehr dran gedacht, sehr originell, hübsch verpackt nicht wahr, ein wahrer Geschenktext, sehen Sie nur, diese Formen, auch lustig nicht wahr, aber oh, unverständlich auch, hat man länger was davon. Auch später die Kinder vielleicht. Jetzt noch nicht, nein, nein. Ist ein Erwachsenentext.  Wertsteigerung? Ja durchaus. Alte Schule? Erinnerungswert durchaus. Aber günstig, wirklich günstig. Bekommen Sie woanders nicht so leicht, nur hier exklusiv zum Sonderpreis. Und so weiter.

So. das war die Vorrede. Jetzt kommt der Text.

Plagiatsjagd

Vor ein paar Jahren wurden – gefühlt – einmal pro Woche Plagiate von Doktorarbeiten der Politiker aufgedeckt. Was haben die Guttenbergs, Schavans oder Giffeys nicht alles abgeschrieben und ohne Quellenangabe in ihrer Doktorarbeit verpackt. Heute scheint es so, als gäbe es das Phänomen gar nicht mehr. Nur die dicksten Fische im ehemaligen Plagiatsnetz werden noch  erinnert. Es war wohl nur ein Trend. Hat er was bewirkt? Ein paar Politiker packten ihre Koffer, andere blieben trotzdem, haben die kurzfristige Entrüstung ausgesessen und ohne ihren Doktorhut weiter Ämter besetzt. Das kann man bedauern, andererseits erwecken „Säuberungsaktionen“ auch unschöne Erinnerungen und Assoziationen. Das ist der eine Fall den ich beschreibe. Der ist schon Schnee von gestern.

Sprachpolizei

Ganz frischer Schnee dagegen ist der andere Fall: Derzeit werden Literaturen nach rassistischen Begrifflichkeiten durchforstet und diese Literaturen und ihre Schöpfer angeprangert. Alte Meister stürzen (von Karl May bis Wolfgang Koeppen), andere Meister stehen nur noch wackelnd auf ihrem Podest (Shakespeare, Kleist, Kant), Margaret Mitchells Roman „Vom Winde verweht“ irritierte, weil sie einerseits die Frauenfrage fortschrittlich thematisierte, aber die Sklaverei sehr weich zeichnete. Der gefährlich versteckte, aber gar nicht so schwer zu findende Antisemitismus in Heideggers Werk (nicht nur in den schwarzen Heften) kursiert immer wieder. Eine andere Säuberungsaktion.

Der Schandpfahl

Nun scheint es keinen unmittelbaren Zusammenhang zu geben zwischen den Plagiatsjägern und den Sprachpolizisten. Aber das scheint nur so. Es gibt einen. Und das ist der Pranger. Der Schandpfahl. Den auch die Nazis für ihre Säuberungsaktionen nutzten.

Das Strafwerkzeug entstand im 13. Jahrhundert, um Täter zu bestrafen deren Taten den Verlust ihrer Ehre nach sich zogen. Ehrenstrafen nannte man das.  Das war aber in der Praxis sehr willkürlich, welche Taten zum Ehrverlust führten.  Im weitesten Sinne haben die Plagiatsjäger das Ansehen (Ehre) der Politiker allgemein beschädigt. Und das – vermute ich – war so manchem das eigentliche Anliegen.

Der Vergleich

Wenn Komiker wie Oliver Welke (aber nicht nur er) in ihrer Satire-Sendung einen Politiker aufs Korn nehmen, dann versuchen sie ihn zum Gespött zu machen, beschädigen sein Ansehen. Die meisten dieser von den Satire-Sendungen aufs Korn genommenen und zum Teil wüst beschimpften Politiker haben das ohne den geringsten Machtverlust überstanden. Am Ende der Satire-Serien steht dann nur noch „Die Politik“ am Pranger.

Wenn man das mit Literaturen und ihren Schöpfern macht, steht am Ende der Serie die ganze Sprache am Pranger. Längst ist „Die Politik“ bei vielen Menschen zum unwürdigen und ehrlosen Geschäft geworden. Die lügen doch eh alle und kleben an der Macht.

Die Schriftsteller kann man aufgrund ihrer Diversität nicht so einfach abkanzeln. Die schreiben doch eh alle nur Mist und wollen den Schmarrn auch noch verkaufen. Wer soll das alles noch lesen (wollen)?

Aber blickt man genauer auf die Literaturen, dann erhärtet sich der Verdacht, dass „Die Politik“ und „Die Literatur“ ähnlichen Bedürfnissen nachgehen.

Politiker sind korrupt, machtgeil und versprechen uns vor der Wahl alles, was sie nach der Wahl vergessen (Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern).

Schriftsteller sind eitel, narzisstisch und versprechen mit ihren Literaturen, was diese nach dem Lesegenuß nicht halten können. Jeder Klappentext ist eine dreiste Lüge.

Generalisierungen, pauschale Vorurteile. Klar. Aber wer am Pranger hängt, der hat den Schandpfahl schon auch irgendwie verdient. Da ist schon was dran. Warum sonst  wird einer in einen Käfig gesteckt, öffentlich ausgestellt und mit einem Lästerstein behängt? Mag ja sein, dass der eine oder andere unschuldig ist. Aber die meisten von denen sind es naturgemäß nicht.  Die falschen Doktoren unter den Politikern und die rassistischen Schriftsteller gibt es ja in allzu großen Mengen. Sie sind ein Allgemeinplatz geworden.

Man kann nichts mehr lesen. Alles steht unter dem Verdacht, widerwärtige, menschenverachtende Sätze in unsere Köpfe zu nageln. Also nageln wir unsererseits diese Sätze an die Köpfe ihrer Schöpfer.

Das ist nur „recht und billig“. Oder eine billige Ausrede? Denn ab dem 18. Jahrhundert veränderte sich das Wort „billig“. Stand es davor noch synonym für Recht (als Form der gegenseitigen Übereinkunft), wurde es pejorativ zum geringeren Wert. Der Einfluss der Warenwelt des Kapitalismus ist hier spürbar.

Teil des Problems

Und jetzt kommt meine gewohnt schräge Querverbindung von all den ungereimten und nicht zusammenzupassenden Ereignissen: Die Sprachpolizei besteht nicht aus Revolutionären. Es sind keine Weltverbesserer. Die Plagiatsjäger (von denen heute keiner mehr spricht, so wenig wie man Telefone mit Wählscheiben noch irgendwo kaufen kann) sind keine besseren Menschen, die alle über den politischen Dingen stehen.  Sie sind ein unmittelbares Produkt des Kapitalismus. Sie wollen ihren Scheiß nur besser verkaufen. Die Wokeness ist ein Werbetrick. Während die Sprachpolizei nach bösen Wörtern fahndet, treiben die Kolonialisten, Rassisten und andere Spießgesellen des Kapitalismus weiter ihr böses Spiel, machen wie gewohnt weiter.

Was diese Bessermacher nicht verstehen ist, dass man nichts verändert, wenn man nichts verändert. Soll heißen: der Pranger ändert nichts, denn der Pranger ist ein Sinnbild der Reaktion.

Eine andere Sprache spricht man erst, wenn man sich über den Ursprung der falschen Sprache wirklich einen Begriff gemacht hat.

Seinen Doktor fälscht man nicht mehr, wenn man sich über die wesentliche Beschädigung durch einen verfehlten Bildungsbegriff einen Begriff gemacht hat.

Ware gleich Urteil

Bevor eine Strafanzeige zum Urteil gelangt, bedarf es immer noch der Klärung des Tathergangs. Doch in unserem von allen weiter geliebten und nicht wirklich in Frage gestellten Kapitalismus spielt das keine Rolle. Der Wert ermittelt sich nicht als ein Urteil, sondern als eine beworbene Ware. 

So sind die Jäger in der Regel nicht die Lösung des Problems, sondern ein Teil des Problems. Nimmt das Wild überhand – um beim Bild zu bleiben – schießen die Jäger es ab. Das ändert aber nichts am Tathergang. Es erschafft nur einen Wert für die Jäger. Und reduziert den Wert des Wildes.

Die Polizei, egal in welcher Proteus Maske sie auftritt, ist immer eine Institution des Machterhalts. Sie verändert absolut nichts.

Bernhard Horwatitsch https://www.literaturprojekt.com/

Auf ZeitenGeist findest Du weitere Artikel von Bernhard Horwatistsch!.

Mehr über ZeitenGeist HIER

Dir gefällt die Art des Ausdrucks, Journalismus, das Medium ZeitenGeist und Du möchtest gerne regelmäßig mehr davon? Du möchtest ZeitenGeist fördern? Wenn ja, schau auf Über ZeitenGeist HIER



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Über ZeitenGeist

Einen guten Inhalt, als Impuls und Inspiration zum Weiterdenken, neu erdenken, Möglichkeiten sortieren und Utopien zulassen. Es gilt immer die Devise „sowohl als auch“ und natürlich der demokratische Blickwinkel in dem wir, mit verschiedenen Meinungen, Sichtweisen, Wahrheiten können müssen, sonst dürfen wir uns von der Demokratie, Meinungsfreiheit und Vielfalt verabschieden. Gerne wollen wir auch mit den Beiträgen aus Diskussionen veranlassen und zum Debattieren anregen.
Freiheitsliebend und lebensbejahend ist es… „Über ZeitenGeist“

Newsletter

%d Bloggern gefällt das: