Lena Günther – Gesellschaft

Die Utopie des Naiven Minimus oder auch:
Homo homini ovis est
Homo homini lupus est, der Mensch ist dem Mensch ein Wolf. So sagte es einst Hobbes und es scheint mehr denn je zutreffend. Denn grob gesagt: Je weniger Privilegien ein Mensch hat, desto mehr spürt er die Kraft des menschlichen „Wolf seins“. Wir sind als Gesellschaft gerade erst dabei über Generationen gewachsene -ismen zu verlernen. Der Schmerz der Kolonialgeschichte sitzt noch tief und Sexismus, Ableismus etc. sind so tief in unserem Denken verwurzelt, dass es fast unmöglich scheint diese wieder zu verlernen. Von Gewalt, Terror und Krieg ist hier noch gar nicht anzufangen. Aber lasst uns nur für einen Moment vorstellen wir hätten die Chance von vorne anzufangen. Eine Utopie. Eine Utopie in der der Mensch nicht des anderen Wolf ist sondern unvoreingenommen und wohlwollend dem anderen begegnet. „Homo homini ovis est“ Der Mensch ist dem Mensch ein Schaf. Was wäre wenn dem so wäre?
Wir hätten eine gänzlich neu konzipierte Welt. In einer Welt in der wirklich jeder fair behandelt würde, würde ein Großteil der bestehenden Systeme nicht denkbar sein, da sie schlicht auf Unterdrückung beruhen. Vielleicht hätten wir mehr Regionalität in unseren Lieferketten, denn wenn jedem Mensch der gleiche Lohn zu zahlen sei, verlöre eine Produktion im Ausland einen Teil ihres Reizes (natürlich sind hier auch Steuern und politische Vorteile zu betrachten. Dazu später mehr). Auf globaler Ebene müsste so einiges neu gedacht werden. Alle Menschen fair zu behandeln würde in logischer Konsequenz auch die exakt gleiche Chancengleichheit für jedes Individuum bedeuten und das wiederum würde zu einem neu Denken der internationalen Politik führen. Entwicklungs- und Schwellenländer (deren Begrifflichkeit ohnehin veraltet ist) gäbe es nicht mehr. Jedes Land hätte ein ähnliches Brutto Inlands Produkt. Dies ist durch die oben erwähnte Umstrukturierung globaler Lieferketten vielleicht ohnehin schon zu einem Teil gegeben. Doch vielleicht ist in dieser neuen Welt ein Messwert wie das Bruttoinlandsprodukt auch schon überholt. Internationale Gremien müssen neu besetzt werden. Der UN Sicherheitsrat beispielsweise sollte in dieser Welt eine andere Sitzverteilung bekommen in der Afrika, Lateinamerika und Asien mehr Sitze bekommen, was an der Fläche der Kontinente gemessen eine logische Konsequenz wäre. Welche Staatsform hätte diese Welt in der kein Mensch dem anderen das Böse will? Demokratie scheint äusserst nahe liegend, jedoch ist dies etwas näher zu betrachten. Was ist mit jenen Ländern die durch den Westen „demokratisiert“ wurden? War die Demokratie hier die richtige Lösung? Das ist ein separates Thema, doch es zeigt warum die Antwort nicht einfach ist. Wäre jeder Mensch allerdings dem anderen ein Schaf und hätte kein Mensch auch nur ein Funke Böses im Sinn ist die Staatsform fast schon egal. Denn sogar ein Diktator oder eine Diktatorin würde das Land nach bestem Wissen und Gewissen für alle und nicht für sich selbst führen. Dennoch ist der Mensch natürlich fehlbar und die Demokratie bleibt die sinnvollste Lösung, da sie von der Expertise der einzelnen profitiert. Ein solches System hätte wahrscheinlich weniger Politikverdrossenheit, da jeder und jede einzelne gleich gut repräsentiert ist. Eine Aufteilung in Judikative, Exekutive und Legislative gäbe es weiterhin. Es wäre eine Politik die vermutlich inhaltsbasierter wäre und weniger auf Personenkult zielen würde. In diesem Staat gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen, damit jeder die gleichen Chancen erhält und eine Vermögenssteuer.
Nun gilt es den normalen Alltag des Individuums zu betrachten in dem der Mensch dem anderen ein Schaf ist. Gleiche Chancen bedeutet auch absolute Barrierefreiheit. Unsere Städte wären so ausgelegt das ein Rollstuhl wirklich überall hinkommt. Das auch Hörgeschädigte und Sehbehinderte Menschen alle Anzeigen und Hinweistafeln einwandfrei erfassen können. Spielplätze wären für alle gebaut und auch unsichtbare Behinderungen wären gesellschaftlich als solche anerkannt. BiPoC wären nicht mehr strukturellem Rassismus und Mikroaggressionen ausgesetzt. Es stände gar nicht zur Debatte das Frauen in Führungsetagen sitzen, der Haushalt fair aufgeteilt ist und selbstverständlich alle für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten. Im Übrigen würde jedes Individuum auch einen fairen Lohn bekommen. Gleich ob Pflegeberufe, Reinigungskräfte oder Führungsetage. Jeder und jede einzelne könnte Nachts ohne Angst durch den Park laufen, denn Übergriffe gäbe es schlicht nicht.
Das liest sich alles wie ein schöner, großer Traum und ja das ist es auch. Aber: Für manche ist dieser Traum schon Realität. Diese Utopie bedeutet nichts anderes als das alle das Leben führen können was einige schon heute leben. Ein Leben mit fairer Behandlung, guten Löhnen, ohne Barrieren und dafür mit Anerkennung und Wertschätzung. Ist das nicht eigentlich nur das Minimum?

Lena Günther wurde 1999 in Konstanz am Bodensee geboren. Nach ihrem Abitur zog es sie bis jetzt nach Ressano Garcia; Mosambik, Kiel, Dresden, Leipzig und Passau. Aktuell studiert sie in Passau Regie und geht damit ihrer großen Liebe zum Theater nach. Eine genauso große Liebe pflegt sie jedoch zur Philosophie und den Hintergründen hinter den großen und kleinen Fragen.

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