Von Bernhard Horwatitsch – Kultur – Gesellschaft

Johannes Duns Scotus
Der bemerkenswerte Schotte John Duns Scotus (vermutlich 1266 geboren und 1308 verstorben) wurde auch Doktor Subtilis genannt. Er wurde 1297 im Franziskanerorden ordiniert. Sein Grab befindet sich in der Kölner Minoritenkirche.
John Duns Scotus gab sich damit nicht zufrieden, dass man – wie Thomas von Aquin behauptete – keinen Begriff für Gott habe, nur in Analogien von ihm sprechen könne. Sein kann nur „eine“ Bedeutung haben. Es muss daher einen gemeinsamen Begriff von Gott und Geschöpf geben, sonst könnten wir beide nicht in eine Beziehung setzen.
Wenn „zu sein“ beim Geschaffenen und Ungeschaffenen, beim Substantiellen und Akzidentiellen, mehrere Bedeutungen hat, hat der Intellekt kein Prinzip mehr. (Ordinatio)
Alles Seiende ist damit gleichbedeutend seiend. Der Intellekt ist Gott. Sobald etwas als seiend erkannt wird, ist es bereits widerspruchsfrei ein Sein.
Unter „univok“ verstehe ich einen Begriff, der so sehr einer ist, dass er ohne Homonymie einen widerspruchsfreien Syllogismus bilden kann. (Ordinatio)
Man kann also das Sein in ein Allgemeines gliedern und in eine Hierarchie. Das Allgemeine liegt damit allem als Gleiches zugrunde. Wenn ich aber – wie Thomas von Aquin – eine Hierarchie aus Analogien schaffe, ist das nicht mehr angemessen.
John Duns Scotus bringt den Begriff der Haecceitas, der Diesheit in die philosophische Diskussion ein. Die Analogie ist nicht, sie führt von dieser Diesheit des Allgemeinen immer weg.
Dieser Begriff ist der Begriff des Seins. Er ist univok etwa in Gott und in einem Stein.(Ordinatio)
Für John Duns Scotus ist dies ein Akt des Willens. Alles andere ist lediglich formales Erkennen.
Im Gegensatz zu Thomas‘ Adäquationstheorie steht bei Duns Scotus die Evidenztheorie gegenüber.
Der Intellekt hat Wissen nämlich zunächst unvollkommen. Er vervollkommnet es, indem er es von aller Beschränkung loslöst zum Wissen von Gott. Dies ist nur möglich, weil vollkommenes und unvollkommenes Wissen univokes Sein haben, sonst wäre kein Aufstieg zum Wissen von Gott. (Ordinatio)
Bis heute teilt sich die Welt der Denkenden in Thomisten und Scotisten auf.
Wenn ich auf meinem Tisch sechs Äpfel liegen habe, dann sind das sechs Äpfel und keine Analogie von sechs Äpfeln. Damit wird eine mathematische Aussage ganz positivistisch zu dem, über das sie eine Aussage macht.
Nichts kann allgemeiner sein, als das Sein. Und Sein ist das erste Objekt des Intellekts. Und der Intellekt ist sich gewiss, das Sein zu sein, aber er zweifelt über alles, wovon er einen niedrigeren Begriff hat.(Ordinatio)
Also: kein vernünftiger Mensch könnte an dem Sein meiner sechs Äpfel zweifeln. Er könnte vielleicht sagen, dass ich mich verzählt habe. Dann müssen wir einfach nachzählen.
So erscheint das Sein in zweifacher Vorrangigkeit: in bestimmter Allgemeinheit von allem einfach dadurch Seienden und als Vorstellung seiner selbst und allem hierdurch Niedrigerem, das so nicht mehr einfach Seiendes ist.
Der allgemeine Begriff ist nun widerspruchsfreier und die Vollkommenheit spielt keine Rolle mehr.
Der unvollkommene Begriff ist allgemein, der Vollkommene angemessen. (Ordinatio)
Ich kann immer noch verallgemeinern. Solange bis es eben angemessen ist. Das sind schon wieder Platon und seine ewigen Ideen. In meinen sechs Äpfeln liegt die Sechs als Sechsheit vor. Und diese Sechsheit geht aus dem Einen hervor.
Was allgemein ist, ist stets noch bestimmbar und kann noch in Unterschiedenheiten unterschieden werden. Und sie sind immer in ein und demselben Seienden unterschiedene Realitäten.(Ordinatio)
Meine sechs Äpfel sind damit zwangsläufig mit sich selbst identisch, sonst könnte ich sie ja gar nicht erkennen. Unsere gesamte wissenschaftliche Empirie fußt auf den Argumenten dieses subtilen Schotten.
Die Frage ist also: Was ist es in diesem Stein, durch das es bei näherer Begründung absolut unangemessen für den Stein ist, in weiteres unterschieden zu werden, wie es nur für das Allgemeine angemessen wäre, unterschieden zu werden? (Ordinatio)
Und hier kommt natürlich wieder der Wille zum Vorschein, der meinem Intellekt zugrunde liegt. Die absolute Freiheit meines Willens ist, dass ich eben wollen kann, was ich will. (Diesem Gedanken hatte viel später Schopenhauer entschieden widersprochen – man könne nicht wollen was man will, der Wille sei nicht mehr hintergehen). Duns Scotus blickt hier befreiend auf unser Sein:
Was etwas tatsächlich in Actus erkennt und frei ist, ist die Ursache von Wollen und Nicht-Wollen. Es kann aber etwas in sich selbst in Actus genannt werden, wenn nicht durch den Willen. Der Wille ist gegenüber dem Intellekt die frühere Ursache. Der Wille ist frei, indem er wollen kann.
Daher sind die Dinge eben wie sie sind. Der erkennende Intellekt ist nur ein nachgereichtes Allgemeines des ursächlichen Willens.
Dass Gott keinen anderen Willen als denjenigen der Natur hat, zeigt sich darin, dass diese Etwas nicht anders sind, als sie gemacht wurden. (Ordinatio)
Damit habe ich bei der einfachsten Erkenntnis einen Willensakt vollzogen. Und dieser Willensakt zur Erkenntnis offenbart sich natürlich in dem, was ich erkenne. Sonst müsste ich ja meinen Willen vom Erkennen trennen. Und das funktioniert aus vielerlei Gründen nicht.
Etwas von Gott Unterschiedenes und damit Mögliches ist in seiner Möglichkeit dennoch notwendig. Denn es ist notwendig möglich, indem es Möglichkeit ist. Dies wird von etwas ermöglicht, das die Möglichkeit selbst ermöglicht, welches in seiner Möglichkeit tatsächlich ist. (Ordinatio)
Dieses Argument in dynamaion stammt von Aristoteles. Das Sein ist ein Behälter in dem alles ist, was ist. Das Sein ist die Form in der Form. Aristoteles unterscheidet ja Form und Inhalt und die Form prägt nach Möglichkeit den Inhalt. Dieses Argument nimmt Duns Scotus auf und zeigt, dass alles Inhaltliche bereits der Form nach ist. Und das können wir erkennen durch den Willensakt des Erkennens. Damit hat dieser subtile Schotte die moderne Wissenschaft präjudifiziert, denn das Erkennen ist hier schon ein Gestalten. Das kann auch heute noch Hoffnung machen. Denn die Rettung der ganzen Menschheit ist im Sein bereits enthalten. Wir müssen sie eigentlich nur noch wollen.
In dieser Hinsicht haben wir bis heute mit dem Widerspruch der Thomisten zu rechnen, die den kreativen Fähigkeiten des Menschen einfach nicht zutrauen, etwas zu entwickeln, zu gestalten, was vordergründig „noch“ nicht ist. Während die Scotisten uns weiter antreiben zu erkennen und aufzuklären.

Bernhard Horwatitsch
Der Münchner Autor und Dozent schreibt seit vielen Jahren für deutsche und österreichische Literaturzeitschriften. Seit 2004 gibt er Kurse in „kreativem Schreiben“ und „Literaturgeschichte“ an der Münchner Volkshochschule und dem Münchner Bildungswerk. Gemeinsam mit Arwed Vogel arbeitet er seit 2008 als Dozent und Coach für das „freie Literaturprojekt“ (www.literaturprojekt.com).
„Schreibt seit vielen Jahren dies und das und wird es auch weiter tun. Warum er das tut, hat er längst vergessen.“

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