Von Jana Gottenströter – Gesellschaft

Lauter hinsehen
Zwischen Breaking News und Polit-Talk flackert sie auf, gelebte Historie, abgeschlossen. Und mag das 20. Jahrhundert noch Einfluss auf unsere Existenz haben, ist es dennoch eines: Geschichte. Anders die Headlines, deren rote Banner ins Auge stechen. Headlines, die nachdenklich machen. Headlines, die befeuern.
Ich sehe genauer hin. Hier und da bin ich d’accord, nicht mit allem. Gedanken, die ich laut aussprechen möchte, drängen sich an die Oberfläche. Irgendwer wird mich dafür kritisieren. Und das ist in Ordnung, Kritik gehört zum Leben dazu.
Aus einer Meinung zu schließen, wer wir grundlegend sind, hingegen nicht. Das muss nicht sein. In den wenigsten Fällen drückt sie uns einen besonders guten oder schlechten Charakter auf. Gebündelt mit all unseren Überzeugungen – vielleicht. Aber eben nicht allein. Dazu braucht es mehr. Und doch erdreisten sich einige, uns für ein schüchternes „Ich denke, dass …“ abzustempeln. Zu entscheiden, wie wir sind. Doch sind wir nicht mehr als nur ein Adjektiv?
Anders gefragt:
Um jemanden zu schützen, den ich liebe, habe ich verdammt lange Maske getragen. Ich glaube an die Wissenschaft. Bin ich deswegen obrigkeitshörig?
Ich unterstütze militärische Aufrüstung nicht bedingungslos, halte sie teils für brandgefährlich. Mangelt es mir deswegen an Solidarität?
Ich behaupte: nein und nein. Aber bitte, Cousine einer Kollegin eines Freundes, hole den Zeigefinger raus und sage mir, wer ich wirklich bin. Welchem „Lager“ ich angehöre, wie ich folgerichtig zu Thema XYZ stehen muss. Die gesellschaftliche Wenn-Dann-Logik mag in einigen Fällen sogar aufgehen. Doch bei genauerem Hinsehen knickt sie ein wie in Grashalm im Wind. Einbahnstraße.
Bei all den Informationen, die über zu viele Kanäle, Medien und Menschen auf uns hereinprasseln, fällt es leichter, in Schubladen zu denken. Eine Möglichkeit: weghören, wegsehen. Das Leben leben und andere reden lassen. So schonen wir nicht nur unsere Nerven, sondern auch ihre.
Ich für meinen Teil aber will hinsehen – nur in welche Richtung? Was ist wichtig, abgesehen von den drei, vier, fünf Schlagzeilen, die den Tag bestimmen?
Es bereitet mir Sorgen, wie still die einen geworden sind, während andere umso lauter brüllen. Ist es die Angst, etwas Falsches zu sagen? Selbstschutz? Das allmähliche Abstumpfen? Da draußen warten so viele Themen darauf, besprochen zu werden. Stimmen, die sich danach sehnen, unsere zu hören. Mitsamt einer Meinung, zielgerichtete und lösungsorientiert.
Eine Meinung ist – in den allermeisten Fällen – besser als keine. Die rote Linie: Hass, Sexismus, Gewalt … Wir kennen das Spiel, sind es immer dieselben, die das Wörtchen „Meinungsfreiheit“ für sich beanspruchen. Doch greift eine solche nicht nur, solange sie andere nicht ihrer eigenen Freiheit beraubt?
Daher: Lasst uns den Mut aufbringen, hinzusehen. Lasst uns mit den Themen unserer Zeit gehen – mit allen Themen. Lasst uns differenzieren. Lasst uns lauter sein als diejenigen, die dem Mainstream nichts als Hass entgegenzusetzen haben. Lasst uns selbst über jenen Mainstream hinausdenken, uns mal über Massentierhaltung anstatt Massenmedien aufregen. Lasst uns die Stille durchbrechen, welche sich Stück für Stück über uns legt.
Lasst uns anecken und nicht in gesellschaftlicher Müdigkeit erstarren.
Wir sind – ich wiederhole – mehr als eine oberflächliche Definition in den Köpfen anderer. Darum dürfen wir auch mal von der Richtung abweichen, in die unser Fähnchen gerade weht. Die Welt besteht nicht nur aus einer Handvoll Problemen oder Schlagzeilen. Sie ist bunt und flüchtig und facettenreich wie die Fülle unserer Gedanken.
Meine Meinung? Hinsehen. Reden. Mitmischen.
Auch und besonders dann, wenn Stille bequemer zu sein scheint.

Jana Gottenströter, Jahrgang 1991 und wohnhaft in der Nähe von Heidelberg, hat einen großen Teil ihrer 20er im Ausland verbracht. Das Leben dort inspirierte sie dazu, ihren ersten Roman zu schreiben. Nach dem wirtschaftswissenschaftlichen Masterstudium rückten die Rechte zukünftiger Generationen in ihren (Schreib-)Fokus. Als freie Texterin und Autorin schreibt sie über Themen rund um Wirtschaft, Gesellschaft und Nachhaltigkeit.
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Instagram: janaschreibt_ / zeilenwende
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Englischsprachige Artikel: https://medium.com/@janaclarke

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