ZeitenGeist

Magazin für Kultur, Gesellschaft und Bewusstsein


AKTE  FREIHEIT

Von Gerald Marten – Kultur – Gesellschaft

AKTE  FREIHEIT

Abhandlung

I.

Freiheit ist ein Hurenwort Im Rhetorikpuff der Politik*

II.

Meinung ist das Resultat eines Prozesses aus problem- bzw. allgemein themenbezogenen

Reflexionen, untermauert durch ein üppiges Maß an Sach- und Fachkompetenz, aus welcher

sich ein fundiertes Bewertungs- und Urteilsvermögen zusammen setzt, stets begleitet

von der Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik. „Meinung“, die sich aus Halbwissen,

Vorurteilen und Vermutungen zusammen dichtet, basiert eher auf bierseligen Debatten

im Stammtischparlament, dem liebsten Parlament eines jeden Volkes.

Doch handelt es sich bei den Ergebnissen solcher polittrunkenen Debatten tatsächlich um

Meinung oder viel mehr um ein aus ideologisch/ religiös motiviertes, emotional und irrational

dominiertes Gemisch unreflektierter Ansichten und fachlich inkompetenter Gesinnungen?

Hieraus stellt sich die Frage, ob Meinung, auf ideologischen Dogmen und/oder religiösen

Glaubensgrundsätzen basierend, überhaupt als Meinung definiert und akzeptiert werden

darf oder dem relativ (man kann nicht alles wissen) gebotenen Meinungsbildungsprozess

unvereinbar gegenüber steht. Ein ausreichendes Potenzial an Themen- und Problembewusstsein

sollte vorhanden sein, sonst ist Meinung nicht mehr als ein Schluck Bier im Stammtischparlament.

III.

Unter Systemfreiheit ist die Freiheit ganzer Systemgruppen wie Volk, Nation, Staat, Stamm

oder Gesellschaft zu verstehen. Doch was bedeutet es beispielsweise, ein freies/

befreites Volk zu sein, also nicht fremdbestimmt durch ein anderes Volk oder generell ein andere

definierte Systemgruppe außer- oder innerhalb der eigenen „Grenzen“? Sind die politischen

und gesellschaftlichen Strukturen innerhalb einer solchen, in sich geschlossenen

Volksgesellschaft denn schon als frei zu bezeichnen, nur weil das Volk als ganzes nicht

fremdbestimmt ist? Herrschen in einem „freien“ Volk denn automatisch schon Presse-, Meinungs-

und Versammlungsfreiheit? Staatliche Gesellschaften/Nationen sind geprägt von gesamtgesellschaftlich

verbindlichen Normen, Werten, Regeln, Sitten, Gebräuchen, Traditionen

und Religion, kurz Kultur genannt. In diesen Mechanismen der Gemeinschaftsidentität sind

die Mitglieder(innen?) mehr oder weniger Gefangene des WIR. Die Systemgruppe Volk/

Staat mag selbstbestimmt, also frei sein. Doch das muss nicht zwangsläufig für die Bevölkerung

gelten. Als Beispiel wäre die Sub- und Hippiekultur der 1960er und 1970er Jahre zu nennen,

eine Gegenkultur innerhalb der „offiziellen“ Bürgerkultur. Ein Volk innerhalb eines Volkes?

In wie weit sind gemeinsame Werte für eine funktionierende Gesellschaft notwendig und ab

wann beginnen Zwänge, Unterordnung und Repressalien praktiziert durch die Wertemehrheit?

Eine Systemgruppe mag selbstbestimmt existieren. Doch wie ist es um den einzelnen Menschen

Innerhalb einer definierten Systemgruppe bestellt?

IV.

Der Unterschied zwischen der Kollektivfreiheit (Systemgruppen) und der Individualfreiheit

dargestellt am Beispiel Schachbrett. Jedes der 64 Felder auf dem Brett entspricht

einem Individualfeld. Innerhalb dieses Feldes lebt das Individuum frei und selbstbestimmt,

nichts und niemand ist grundsätzlich befugt in ein solches Individualfeld hinein zu wirken,

sich in irgendeiner Form einzumischen, auch nicht verbal.. Den einzelnen Feldern ist aber

auch geboten, andere Felder in keiner Weise auch nur zu belästigen, zu bedrohen,

zu gefährden oder gar zu schädigen. Und mit diesem Individualfeld ist tatsächlich auch nur

eine Person gemeint, also keine Gruppe, so klein diese auch sein mag, folglich auch

keine anderen Familienmitglieder. Doch üblicherweise geht es in Systemgruppen

um Macht- und Herrschaftsansprüche, also das politisch/gesellschaftspolitische Ziel, das

Schachbrett als Ganzes über Polit- und Kulturelemente zu vereinnahmen, bis es eben

nur noch das EINE große Gemeinschaftsfeld gibt, aus welchem der/die Einzelne seine/ihre

Kollektividentität beziehen soll. Identität aber sollte der/die Einzelne aus den

eigenen Leistungen, Erfolgen, Interessen, Ansichten und selbst auferlegten Regeln

beziehen, selbstverständlich in strikter Eigenverantwortlichkeit in Denken und

Handeln. Natürlich gibt es Aufgaben, allgemein Dinge des Lebens,

die von einer Person allein nicht bewältigt werden können. Aus diesem Grunde

sind aufgabengebundene Zweckgemeinschaften statthaft, befristet, nicht als Selbstzweck.

V.

Die Zeiten der Aufklärung, zumindest ihrer Versuche, scheinen im geistigen Sumpf der

Geschichte versunken zu sein. Religion gilt wieder als höchster Wert einer Kultur und das gleich

multifach und wird als Weltoffenheit, Toleranz und (Religions-) Freiheit gepriesen und

gepredigt. Aber hat eine Vielfalt an geglaubten Göttern denn tatsächlich etwas mit Freiheit

zu tun? Wie „frei“ ist denn eine Person innerhalb der Systemgruppe Religion?

Gottesstaaten, und dabei handelt es sich nicht nur um den Iran oder Afghanistan, sind auch in

der westlichen Welt nicht vom abendländischen Tisch der „religiösen Gefühle“ verschwunden.

Und wie sieht es mit den durch religiösen Glauben verletzten Gefühlen des Verstandes aus?

Auch dieser wird durch die bloße Anwesenheit von Religion beleidigt. Mit welchem Recht

beansprucht Religion, als unterläge dieses einem Naturgesetz, einen Platz an der Sonne der Macht,

nicht nur innerhalb einer kleinen Systemgruppe wie die der Familie, sondern großflächig,

gesamtgesellschaftlich, letztendlich global. Religionsfreiheit wird doch, machen wir uns nichts

vor, als Freiheit zur Herrschaft gedacht. Dem religiösen Glauben genügt sein privates Feld,

zurück auf dem Schachbrett, ganz und gar nicht, er beansprucht das gesamte Brett und glaubt dieses

mit dem mittlerweile arg strapazierten Begriff Kultur legitimieren zu können.

Jedes Feld darf still und privat gläubig sein, bis zum nächsten Feld, das ist Religionsfreiheit.

VI.

Freiheit ist ein Hurenwort, haben wir zu Beginn dieser kleinen Abhandlung gelernt. Die „empfundene“

Freiheit richtet sich in der Regel nach der persönlichen Interessenslage oder etwaigen

geistigen Verirrungen der multifachen Art. Die einzig gültige, weil nachvollzieh- und persönlich

erlebbare Definition von Freiheit ist auf dem „Schachbrett“ zu finden, nämlich die Freiheit

des Individuums innerhalb seiner definierten Grenzen. Der Rottungsmensch diffamiert

Individualismus gerne schon mal als Egoismus.

Aus diesem Grunde folgend eine neue(?)

Wortschöpfung, diese  herdenorientierten Diffamierungsversuche der blökenden Art in

den geistigen Sumpf der Geschichte zu verabschieden:

Sozialindividualismus.

Ein selbstbestimmtes Leben mit einem sozialen Gespür der Verantwortung für das

Gesamtgesellschaftliche. Und die Individualfreiheit ist selbstredend mit

der Freiheit des Ganzen verbunden, man könnte diese Verbindung auch als notwendige

Symbiose zweier Freiheitsformen bezeichnen. Doch nach wie vor geht die Hure Freiheit mit

jedem machtgeilen Politfreier ins populäre Bett, prostituiert sich an jeder Politecke mit

sonderbaren Freiheitsanliegen wie: „Freie fahrt führ freie Bürger!“ (Tempolimit

auf Autobahnen) oder „Freiheit für Covid!“

Doch der sicherste Kerker eines Staates ist immer noch die Individualfreiheit.



Gerald Marten, Jg. 1955, geboren und lebt in Oldenburg in Holstein/Ostsee. U.a. Studium der

(Diplom) Geografie, Nebenfächer Soziologie und Politik an der CAU Kiel. Veröffentlicht seit

2001 Kurzprosa und Gedichte verschiedenster Inhalte in Anthologien und Zeitschriften, wie z.B.

im kkl Onlinemagazin, 2002 erschien zudem ein Roman im Kopfjaeger Verlag Berlin.


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Eine Antwort zu „AKTE  FREIHEIT”.

  1. Die Suche
    nach dem
    Gleichgewicht
    der Innenwelt
    zur Aussenwelt
    bleibt uns
    in jedem
    Rahmen
    der uns vorgesetzt
    nicht erspart

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