ZeitenGeist

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Schatten, Staub und Wind

Bernhard Horwatitsch – Kultur

Schatten, Staub und Wind

Eine barocke Zeitreise

Der 1597 in Straßburg geborene und 1657 in Idstein verstorbene Barockmaler Sebastian Stoskopff war ein Meister des barocken Stilllebens. Er wuchs in Straßburg auf und stand am Ende in Diensten des protestantischen Grafen Johannes von Nassau-Idstein (nördlich Wiesbaden, Taunus). Damit war er eindeutig dem protestantischen Lager verpflichtet. Ein Bild von ihm steht symbolisch für die Haltung einer ganzen Epoche. Das Bild stammt noch aus seiner Zeit in Paris. Es (von 1630) trägt den Titel „Vanitas“. Die Vergänglichkeit, die Hinfälligkeit war in den barocken Künsten bekanntlich ein zentrales Motiv. Wir sehen eine Art „Abstellkammer des Lebens“. Zentral thront darin der Totenschädel. Rundherum sind Gegenstände angeordnet, die zu einem schönen, erfolgreichen Leben gehören: Trinkgefäße (Reichtum), Laute und Noten (Musik und Tanz), ein Blatt mit der Darstellung eines Menschen (Kunst), Dinge aus der naturwissenschaftlichen Forschung und aus dem Militär. Auf all diese Dinge kann sich der Mensch etwas einbilden und darauf stolz sein. Aber da ist dieser Totenkopf. Über ihm hängen ein „Fake“-Fensterund eine Sanduhr. Sie sagen dem Betrachter: Alles ist nur Illusion, nur „leerer Schein“ (eine andere Übersetzung für „Vanitas“) und alles ist zeitlich begrenzt. Zwei Gegenstände im Vordergrund sind besonders zu beachten. Am unteren Bildrand rechts unterhalb des Totenschädels steht eine Wasserflasche auf einem Schemel. Sie hat sicher nichts in einer Abstellkammer zu suchen. Verschließbare Wasserflaschen gehörten damals zu den Reiseutensilien. Die Aussage liegt auf der Hand: Wir sind auf dieser Erde nur auf der Durchreise. Links neben der Flasche hängt eine handgeschriebene Notiz, die das Bild aufschlüsselt:

„Kunst, Reichtum, Macht und Kühnheit stirbet / die Welt und all ihr Thun verdirbet / ein Ewiges kommt nach dieser Zeit / ihr Thoren, flieht die Eitelkeit.“

Auf solch kräftige Aussagen trifft man auch sonst in der barocken Lyrik. Eines der berühmtesten deutschen Barockgedichte aus der Feder des Glogauer (heute Glogów in Polen) Andreas Gryphius (1616-1664)trägt den Titel „Alles ist eitel“ und die letzte Strophe lautet: Als schlechte Nichtigkeit/ als Schatten/ Staub vnd Wind  / Als eine Wiesen-Blum/ die man nicht wider find’t / Noch will, was ewig ist kein einig Mensch betrachten.
Das Leben und der Tod eines Menschen sind so unbedeutend, wie eine einzelne Blume auf einer großen Wiese voller Blumen. Das Fazit des Autors im letzten Vers besagt, dass noch keiner wirklich wahrgenommen hat, was für die Ewigkeit bestehen bleibt. Alles geht zugrunde.

Der Handzettel auf dem Bild von Sebastian Stoßkopf (mit Kreide auf einer kleinen Tafel geschrieben)ist kaum lesbar. Ihre Botschaft erscheint im Unterschied zu den gewichtigen Büchern schwach und bedroht. Fast scheint, als würde sie von der Macht des Wissens an den Rand gedrängt. Bücher haben bei Stoskopff nicht selten eine negative Bedeutung. Sie sind Ursache zu menschlichem Stolz. Der Epochenbegriff der Vanitas ist inzwischen Allgemeingut. Es übersetzt sich als irdische Nichtigkeit, als Eitelkeit allen Seins. Prägend war das bereits erwähnte Gedicht des Dichters Andreas Gryphius aus dem Jahr 1637, also mitten im 30jährigen Krieg geschrieben (1618-48). Andreas Gryphius war Schlesier und Protestant. Schlesien blieb von den Wirren des 30jährigen Krieges halbwegs verschont und durch den Protestantismus konnte sich deutsche Dichtung in Schlesien besser entfalten, als in den oberdeutschen Landen, wie z. B. Süddeutschland, wo die Neulateiner der Gegenreformation, allen voran der Jesuitenorden besser Fuß fassten.

Der Vanitasgedanke lebt von der Dialektik zwischen Memento mori und carpe diem. Unserer Vergänglichkeit schulden wir das Jetzt und dem Jetzt unsere Vergänglichkeit. In dieser Dialektik lässt sich gewiss auch der ganze Widerspruch einer Kulturepoche erkennen, die einerseits einen höfischen Adel formte, der in Versailles seinen Gipfel hatte mit einer gigantischen Festkultur (zum Beispiel das ein Monat währende Zeithainer Lustlager August des Starken, Kostenfaktor 5 Millionen Taler, heute etwa 100 Millionen Euro), zentralistisch geprägt, absolutistisch herrschend und auf antike Klassik setzend auf der einen Seite und bettelarm, tief religiös und abergläubisch auf der anderen Seite. Nach dem Verlust der wirtschaftlichen Vormachtstellung Italiens, der Erschütterung der Kirche durch die Reformation und der Invasion der Franzosen und Spanier gipfelnd im Sacco di Roma am 06. Mai 1527 ist keine Grundstabilität wie sie im Mittelalter noch galt möglich.

Auf einem Stich aus dem Jahr 1527 des holländischen Grafikers  Maarten van Heemskerck (1498 -1574) sieht man den Tod von Charles III. de Bourbon Montpensier, einen französischen Heerführer, der von Papst Clemens VII in Bann geschlagen war und mit seinen Söldnern am frühen Morgen Rom stürmen lässt und dabei im Alter von 37 Jahren den Tod findet. Daraufhin hat niemand mehr Kontrolle über die Söldner und eine üble Schlächterei bricht aus.

Von daher könnte man genauso gut sagen, dass an diesem Tag die Hochrenaissance beendet wurde, als deutsche Landsknechte, spanische Söldner und papstfeindliche Condottieri 24.000 Mann stark in Rom einfielen und nach Belieben mordeten und plünderten. Die Macht von Karl V. war zwar gewaltig, aber sie reichte nicht mehr aus, um die Einheit von Kirche und Kaiser wieder herzustellen. Der ungarisch-deutsche Kunsthistoriker Arnold Hauser (1892 – 1978) schriebt dazu: Diese Idee (also die Einheit von Kirche und Kaiser) hatte seit dem Ende des Mittelalters keine reale Grundlage mehr, und statt der gewollten Einheit entstand der politische Antagonismus, der die Geschichte Europas über vierhundert Jahre beherrschen sollte.

Arnold Hauser schreibt weiter: Sie (also die Söldner Charles III.) plündern die Kirchen und Klöster, töten die Priester und Mönche, vergewaltigen und misshandeln die Nonnen, verwandeln St. Peter in einen Stall und den Vatikan in eine Kaserne. Die Grundlagen der Kultur der Renaissance scheinen zerstört zu sein.

Man kann den Beginn der Neuzeit auf unterschiedliche feste Ereignisse zurückführen. Dabei merkt man schon die Schwierigkeiten, denn die Zeit schwankt um 181 Jahre hin und her. Die neue Zeit könnte mit der Eroberung Konstantinopelsdurch die Osmanen am 06. April 1453 begonnen haben. Mit der Massenflucht der Byzantiner in den Westen, vor allem nach Italien kam es zu einem enormen kulturellen Input. Die Byzantiner hatten ihr antikes Wissen (dem Westen unbekannte antike Originalwerke) im Gepäck, das zu einer Reantikisierung des Westens beitrug. Klassisch setzt die Neuzeit an mit der Entdeckung Amerikasdurch Christopher Columbus am 12. Oktober 1492, als er auf den Bahamas landete. Damit beginnt die Kolonialisierung und eine erhebliche Machtverschiebung gestaltet die politische Landschaft Europas neu. Die hier sich etablierenden Familien und Häuser bestimmten dann auch das Zeitalter des Barock. Luthers 95 Thesen, die er am 31. Oktober 1517 an die Erzbischöfe von Mainz und Magdeburg verschickte läuten ebenfalls eine Zeitenwende ein. Diese Reformation der katholischen Kirche führte auch zur Gegenreformation und damit zur Landschaft des Barock bis hin zum 30jährigen Krieg. Petrarcas Bergbesteigungdes Mount Ventoux in der französischen Provence am 26. April 1336 zusammen mit seinem Bruder war ein rein kulturelles Ereignis und verweist auf die Rückeroberung der äußeren Welt durch die Wissenschaften. Francesco Petrarca (1304 – 1374) war ein starker Kritiker der verschulten und verkopften Scholastik. Sein Blick über die Welt vom Gipfel eines 1909 Meter hohen Berges, den die Kelten als „heiligen Berg“ verehrten, wäre nach Augustinus eine so genannte Augensünde gewesen. Es war weit verbreitet solch einen begierigen Blick auf die äußere Welt als sündhaft zu betrachten.

An einem Gedicht des schlesischen Dichters Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616 – 1679) lässt sich barocker Stil in vielen Anteilen bereits gut darstellen.

Es wird der bleiche Tod mit seiner kalten Hand Dir endlich mit der Zeit um deine Brüste streichen Der liebliche Corall der Lippen wird verbleichen; Der Schultern warmer Schnee wird werden kalter Sand Der Augen süsser Blitz, die Kräffte deiner Hand Für welchen solches fällt, die werden zeitlich weichen Das haar, das itzund kan des Goldes Glantz erreichen Tilget endlich tag und jahr als ein gemeines band. Der wohlgesetzte Fuss, die lieblichen Gebärden Die werden theils zu Staub, theils nichts und nichtig werden Denn opfert keiner mehr der Gottheit deiner pracht. Diß und noch mehr als diß muß endlich untergehen Dein Hertze kan allein zu aller Zeit bestehen Dieweil es die Natur aus Diamant gemacht.

Das Gedicht ist ganz im Stil des so genannten Petrarkismus geschrieben.  Zunächst verknüpft sich in diesem Gedicht Sexualität und Tod bzw. Vergänglichkeit. Der Stil nennt sich Manierismus. Man galt im Barock nicht als originell, wenn man etwas Neues dichtete, sondern wenn man einen bekannten Topos, eine bekannte Geschichte auf noch kunstvollere Art darstellen konnte. Extreme Gestaltung bis zur Verzerrung des Dargestellten. Mit Hilfe bildhafter Verfremdung sollte ein Affekt ausgelöst werden. Die Grundidee war die überbietende Nachahmung, die „aemulatio“. Und der Affekt ist nicht zu vergleichen mit der modernen Emotion. Im Barock dachte man sich die Gefühle als einzeln. Wut und Angst konnten nicht gleichzeitig sein, nur nacheinander. Die Affekte kamen von außen und wurden nicht (wie bei der modernen Psychologie) in uns selbst erzeugt. Daher entwickelte sich auch der Neustoizismus als Abwehr dieser von außen Unruhe ins Leben bringenden Affekte. Und dies war an feste Regeln gebunden. Man konnte im Barock von richtiger und falscher Literatur sprechen. Es gab hohe und niedere Affekte. Zorn war dem Adel vorbehalten. Die Bauern brachten es nur zur Wut.

Die rhetorische Konstellation im Gedicht von Hoffmannswaldau war: Mann redet Frau an. Dann werden im Sinne eines Schönheitskatalogs die Körperteile der Frau aufgelistet. Am Schluss steht die Pointe (concetto) eine Art Allegorie als scharfsinniger Einfall. Das war typisch für barocke Lyrik, die wesentlich eine Witzkultur war. Hier wird von Hoffmannswaldau das diamantene Herz genannt. Das ist doppeldeutig. Denn einerseits ist der Diamant wertvoll und steht hoch im Kurs, spricht auch für die Tugendhaftigkeit der erwähnten Frau, andererseits ist der Diamant auch extrem hart und das spricht für die Hartherzigkeit der Dame. So appelliert der Dichter an die Vergänglichkeit der Schönheit, die das Herz der Frau erweichen möge. Besser kann man die Dialektik von Memento mori und Carpe Diem nicht auf den Punkt bringen. In der Tat sollte man die Gelegenheiten zum Vergnügen nutzen, bevor sie kein Vergnügen mehr bereiten.

Am besten begreifen lässt sich die Epoche des Barock, wenn man sie der ihr folgenden Epoche der Aufklärung gegenüberstellt.

Die Allegorie der Zeit wurde als ein hinkender alter Mann mit Flügeln dargestellt und man sieht ihn so zum Beispiel auch in der Oper von Claudio Monteverdi (1567- 1643 / dem Urvater der Oper) „Die Heimkehr des Odysseus“: Im Prolog beklagt die Allegorie der „Menschlichen Gebrechlichkeit“ (L’Humana fragilità), allzu sehr von der schnell vergehenden Zeit (Il Tempo), dem launischen Glück (La Fortuna) und der blinden Liebe (Amore) beherrscht zu sein, und wird von diesen darum verspottet. Die Vergänglichkeit alles Irdischen steht im Vordergrund. In der Epoche der Aufklärung wandelt sich die Bewertung der Zeit zum Gedanken des Fortschritts und wird zum Entwicklungsbegriff. Das Barock entfaltet eine weitestgehend negative, pessimistische Anthropologie. Der Mensch ist nicht veränderbar in seiner Schlechtigkeit. Daher muss er sich zähmen. Die Affekte müssen kontrolliert werden. In der Aufklärung entwickelt sich ein optimistischeres Bild vom Menschen, der eben (im Gedanken an den Fortschritt) veränderbar ist und sich bessern kann. Im Barock war man weitestgehend rational. Es war durchaus eine Art Erkenntnisoptimismus vorhanden. Da die Welt von Gott gemacht war für den Menschen, konnte der Mensch sie auch lesen. Im Barock herrschte die Signaturenlehre vor, die Zeichenhaftigkeit des Daseins war so, dass man im Außen alles Innere erkennen konnte. Das rationale Bewusstsein eines barocken Menschen, der alles was in der Welt existiert auch lesen kann am äußeren Erscheinen der Welt, löste sich in der Aufklärung auf. So ist die Aufklärung eigentlich eher erkenntnispessimistisch und entwickelt ein kritisches Bewusstsein. Der Kunstbegriff der Aufklärung entwickelte den Genie-Kult. Originalität im Barock bedeutete dagegen, dass man die klassischen Vorgaben besonders raffiniert nacherzählt. Etwas Neues wollte bzw. konnte man nicht erfinden. Wenn man also den speziellen Code im Barock versteht, kann man die Literatur durchaus als falsch oder als richtig wahrnehmen. Das war dann in der Aufklärung nicht mehr möglich und wir können heute nicht mehr mit klarer Gewissheit sagen: Der Roman ist richtig oder falsch. Wir haben einen Geschmack, aber die ästhetische Wahrnehmung ist nicht mehr eindeutig.

Es ist nicht einfach, genaue zeitliche Abgrenzungen bestimmter Epochen durchzuführen. Es sind meist normative und weniger deskriptive Gründe, dies dennoch zu tun. So könnte man das Zeitalter des Barock extrem kürzen, wenn man – was inzwischen üblich ist – zumindest im deutschen Sprachraum den Beginn barocker Literatur auf das Jahr 1624 datiert. Denn in diesem Jahr erschien das Buch von der Deutschen Poeterey von Martin Opitz. Vor dem im Dezember 1597  in Bunzlau (Niederschlesien, Polen) geborenen Metzgersohn Martin Opitz gab es keine Kunstdichtung, keine literarische Artistik von Bedeutung in der deutschen Sprache. Führend waren die romanischen Sprachen französisch und italienisch. In deutscher Sprache zu schreiben war generell ein politisches Unternehmen, denn es waren vornehmlich Protestanten. Opitz war Calvinist. Die Sprachreform von Opitz stand daher unter dem Motto der Konfession und war ein protestantisches Unternehmen. Fast genau ein Jahr vor Ausbruch des 30-jährigen Kriegs am 24. August 1617, gründete Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen die erste deutsche Sprachakademie, die „fruchtbringende Gesellschaft“ (Palmenorden).  Das genaue Datum ist deshalb interessant, weil es eine Hommage an die Bartholomäus-Nacht vom 23. August auf den 24.August 1572 war, wo man in Paris in einer Nacht um die 3000 Hugenotten abschlachtete. Daher dauerte es auch einige Zeit (1629), bis Martin Opitz in diese erlauchte Dichtergesellschaft aufgenommen wurde. Opitz war lange Zeit der Sekretär des ziemlich brutalen Gegenreformatoren Karl Hannibal von Dohna (1588 – 1633). Dieser Sekretärsposten kompromittierte Opitz gegenüber einer protestantischen Sprachgesellschaft.
Die Reform vom Martin Opitz lässt sich in einem knappen Abriss darstellen. Drei Grundsätze und drei formale Normen führte Opitz in die deutsche Barockdichtung ein und diese waren dann verbindliche Regeln die man bis heute in der Schule lernt.  

1) Umstellung von der quantitativen auf die akzentuierende Metrik. Nicht die Länge der Silben ist ausschlaggebend (wie im Lateinischen und Griechischen), sondern die Betonung der Silben.
2) auf eine betonte Silbe folgt immer eine unbetonte Silbe und so fort. Der so genannte Alternationszwang
3) Wortakzent und metrischen Akzent in eine Übereinstimmung bringen. So sollen Hebungen betont und Senkungen unbetont gesprochen werden.

Drei formale Normenwerden von Opitz der Lyrik vorgegeben: Dominanz des Sonetts , Dominanz des Petrarkismus und die Dominanz des Alexandriners.

All dies endet dann mit der Theaterreform und der Sprachreform von Johann Christoph Gottsched (1700 – 1766) und seinem Buch  Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen aus dem Jahr 1729. Gottsched baute zwar auf Opitz auf, aber er fragte sich, ob es auch vernünftig sei, wie wir dichten. Gottsched lehnte religiöse Themen ab und wollte der dichterischen Phantasie weniger Raum lassen. Auch die Manierismen der barocken Literatur lehnte er ab.

So wäre die barocke Literatur im deutschen Sprachraum auf grade mal 100 Jahre eingegrenzt.
Weitere Schwierigkeiten macht das Wort „Barock“ selbst. Denn es ist erst im 18. Jahrhundert nachgereicht worden und diente als Pejorativ für bizarren, verdrehten und schwulstigen Stil. Barock stand für Stilwidrigkeiten und Abgeschmacktheit. Besonders der Altphilologe Jakob Burckhard (1681 – 1752) prägte den Begriff Barock als Verfallsbegriff. Auch Egon Friedell (viel später: 1878 – 1838) lässt kaum ein gutes Haar am Barock in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit. Das ist im Nachhinein gesehen sehr ungerecht. In Frankreich war der Begriff „baroque“ bereits belegt für „bizarr, seltsam, ungewöhnlich“. Etymologisch bezieht man sich gerne auf das portugiesische Wort „baroco“ für einen unregelmäßigen Felsbrocken oder Perle. Französische Juweliere nutzten den Begriff als Fachterminus für die unregelmäßige Form. Eine andere Deutung des Wortes wird vor allem von Benedetto Croce vertreten, als eine künstliche Gedächtnisvokabel „baroco“, ähnlich dem barbara (Modus der Logik) war dies eine Formel der Scholastik.

Alle Professoren sind ernst // Einige Schreibkraftautoren sind nicht ernst Daraus folgt: Einige Schreibkraftautoren sind keine Professoren. Weiter hat man auch den Barock-Maler Federico Barocci(1525-1612) als Namensstifter genannt oder Renaissance-Architekten Giacomo Barozzi da Vignola(1507-1573). Auch das italienische Wort für „Wucher“ (barocco) geht darauf ein. Eine weitere Deutung bezieht sich auf das Wort „baroquer“ für das Kurvieren in der Tischlersprache. Kurvierte Architektur war eine spätbarocke Bauweise, bei der die Wände und Gurtbögen von oblongen (abgerundeten) Bauten ondulierend (gewellt) geführt sind. Die Kurven entstehen durch die Aneinanderreihung oder Verschneidung von Rotunden. Auch in der Malerei nannte man das Aufweichen der Ränder so. Im Grunde sagen all diese Deutungen schon viel über die stilistischen Besonderheiten des Barock aus.

Abschließend lässt sich über die barocke Epoche aussagen, dass man ihre Wirkung und Kraft verkürzt darstellte und auf den Vanitas-Begriff reduzierte. Damit wird man dieser schillernden, spielerischen und widersprüchlichen Epoche die sich deutlich von der Renaissance und der Aufklärung abhebt nicht gerecht. Es lohnte sich daher allemal, diese vielfach verschollenen und ignorierten Literaturen und ihre Besonderheiten des Ausdrucks wieder zu entdecken.

Bernhard Horwatitsch

Der Münchner Autor und Dozent Bernhard Horwatitsch schreibt seit vielen Jahren für deutsche und österreichische Literaturzeitschriften. Seit 2004 gibt er Kurse in „kreativem Schreiben“ und „Literaturgeschichte“ an der Münchner Volkshochschule und dem Münchner Bildungswerk. Gemeinsam mit Arwed Vogel arbeitet er seit 2008 als Dozent und Coach für das „freie Literaturprojekt“ (www.literaturprojekt.com).


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