Bernhard Horwatitsch – Gesellschaft – Bewusstsein

Widerspruch – Geburt der Dialektik und Anfang aller Veränderungen
Logik hat als Verstandeslogik einen hohen Stellenwert. Wir kennen diese Auseinandersetzungen ja alle. Wer hat eigentlich recht? Diese Frage beantwortet man mit Hilfe formaler Logik, mithilfe der Empirie, den Erfahrungen. Angenommen, jemand behauptet, dass Susanne rote Haare hat, kann man denjenigen einfach widerlegen, indem man ihm ein Foto zeigt, auf dem Susanne zu sehen ist und dort hat sie augenscheinlich blonde Haare. Hier ist das alles recht einfach. Man verweist schlicht auf die Tatsachen.
Es war Aristoteles, der diese formale Logik erstmals klar definierte. Wenn es regnet, wird die Straße nass. Dies ist ein Wissen, das ich ohne sinnliche Erfahrung annehmen kann. Es fasst sich in der einfachen Formel: Wenn A dann B, also A dann B. Dies geht nicht umgekehrt. Also von der nassen Straße kann ich nicht darauf schließen, dass es regnet, denn es könnte ja ganz andere Ursachen haben, dass die Straße nass ist. Jemand könnte Blumen gießen und die Straße dadurch nass machen etc.. Also wenn B, folgt nicht automatisch A, sondern C,D, oder E usw..
Der Satz vom Widerspruch oder Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch besagt, dass zwei einander widersprechende Gegensätze nicht zugleich zutreffen können.
Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten besagt, dass es entweder so ist oder nicht so ist, ein Drittes gibt es nicht. Würde man sagen, es ist entweder so oder anders, dann wäre diese Aussage falsch. Der zweite Schluss muss negativ sein.
Wir kennen hingegen auch die Aussage: Du widersprichst dir ja selber. Hier fordert das Gegenüber zwingende Argumente auf der Ebene der Verstandeslogik.
Aber gerade die Verstandeslogik bekam im Laufe der Philosophiegeschichte enorme Probleme und verwickelte sich selbst in Widersprüche.
Es gibt in der Geschichte des menschlichen Denkens zwei große Stränge.
Das Lösen technischer Probleme, wie zum Beispiel Navigation auf offener See. Wie bringe ich ein Schiff auf die andere Seite, wenn ich das Ufer nicht sehe. So wurde das Feuer gezähmt, das Rad erfunden und technisch vervollkommnet, und viele andere technische Probleme gelöst, die heute alle zum Standard unseres Daseins gehören.
Der andere Strang menschlichen Denkens entwickelt sich durch eine innere Unruhe. Man kann sich etwas nicht erklären. Woher kommt der Donner? Was ist eigentlich Schlaf? Was geschieht wenn ich träume? Wo komme ich eigentlich her? Wer bin ich? Wo geht es hin? Es geht hier um Bedeutung! Bedeutet mein Leben eigentlich etwas, bedeutet diese oder jene Erscheinung etwas? Was hat es damit auf sich? Hier geht es nicht vordergründig um Problemlösung. So wurden dazu Mythen ausgesponnen.
Die frühen Philosophen um ca. 600 v.Chr. waren so genannte Naturphilosophen (Thales von Milet zum Beispiel), und sie entwickelten entsprechende Modelle. Die Anfänge der Naturphilosophie liegen in der griechischen Antike. Die Vorsokratiker suchten nach allgemeinen, konstanten Konstitutions- und Erklärungsprinzipien des Wandels der Erscheinungswelt. Dabei wurden meist ein oder mehrere einheitliche materielle Prinzipien angenommen, die einen gemeinsamen Urgrund (arche) bilden. Thales führte dazu das Wasser an, Anaximenes die Luft, Empedokles alle vier Elemente. Leukippos und Demokrit postulierten kleinste Teilchen: Atome. Anaximander sprach von einem Apeiron (das Unbestimmte), was evtl. mit Feuer oder Äther in Verbindung zu bringen ist.
Diese Erklärungsmodelle unterscheiden sich schon deutlich von den Mythen, denn sie bedienen sich des vorhandenen technischen Wissens. Ihr grundsätzliches Problem ist dabei, dass es Behauptungen sind. Beweise bleiben diese Philosophen denn auch meist schuldig.
Eine gravierende Wende markiert der Satz des Pythagoras: a2 + b2 = c2. Es handelt sich um die Konstruktion von rechten Winkeln. Dieser berühmte Satz über Dreiecke besagt, dass die Diagonale eines Quadrats mit der Seitenlänge 1, also die Verbindungslinie zweier gegenüberliegender Ecken des Quadrats, gleich einer Größe ist, die wir die Quadratwurzel aus 2 nennen. Trotz aller Bemühungen bei der Anwendung ihrer wohlerprobten systematischen Verfahren gelang es ihnen nicht, diese Zahl als ein Verhältnis zweier ganzer Zahlen, also als Bruch auszudrücken. Es war eine neue und besondere Art von Zahl, von den Pythagoreern zuerst arrheton genannt, was besagt, sie sei nicht durch ein Verhältnis auszudrücken. Also eigentlich „Die Unaussprechliche“. Später nannte man diese Zahlen irrational. Eine Zahl mit unendlichen Stellen hinter dem Komma, war für die Pythagoreer ein Skandal. Es riss entschieden eine Kluft zwischen der Arithmetik, die diese seltsamen „irrationalen“ Zahlen erschaffen konnte, und der Geometrie, die sie nicht messen konnte. Die Überlieferung behauptet, die Entdeckung dieser irrationalen Zahlen sei von der Bruderschaft zunächst geheim gehalten worden; es sollte nicht bekannt werden, dass es Zahlen gab, die ihre Lehre in Frage stellten. Als Hippasus die Sünde beging, seinen Schwur der Geheimhaltung zu brechen, und diese schreckliche Wahrheit verbreitete, wurde er ertränkt.[1]
Und dies war der Beginn der Dialektik. Man konnte beweisen, dass etwas nicht beweisbar ist. Ein eklatanter Widerspruch der formalen Logik war entstanden. Die Geschichte mit Hippasus sollte nur unterstreichen, wie Welt bewegend und skandalös die Entdeckung der irrationalen Zahlen war.
Die Form des Beweises zeigte eben, es könnte etwas bewiesen werden, was durch die Erfahrung nicht gestützt wird.
Das Phänomen selbst bedeutete eine endliche Länge, die eine unendliche Zahl hat (Quadratdiagonale)
Die Unendlichkeit in der Endlichkeit! Dies schien den Verstand zu sprengen.
Um ca. 500 v.Chr. trat ein aus Elea in Süditalien stammender Philosoph auf den Plan: Parmenides. Der Gründer der „eleatischen Schule“ und Lehrer des Zenon von Elea.
In seinem Lehrgedicht „Über das Sein“ ging es Parmenides darum, die Alltagswahrnehmung der Welt (in „doxa“ beschrieben) als eine Scheinwahrheit aufzudecken, während die wirkliche Welt („aletheia“) „das Sein“ sei: ein unveränderliches, ungeschaffenes, unzerstörbares Ganzes. Parmenides präsentiert seine Lehre in Form einer kritischen Beweisführung, mit ihm beginnt die Epoche der begriffsanalytisch und logisch argumentierenden Philosophie, an die Platon anschließt.
„Man muss sagen und denken, dass etwas ist: denn das Sein existiert, nicht aber das Nicht-Sein.“ – Fragment B6
Nach Parmenides gibt es also nur ein unterschiedsloses Sein, alles andere ist Schein. Bewegung und Mannigfaltigkeit wird aufgehoben. Zenons berühmte Teilungsparadoxien beschäftigen sich dann auch zielgerichtet mit dem Problem des Kontinuums.
Eine seiner Teilungsparadoxien ist die von Achilles und der Schildkröte: Achilles tritt zu einem Wettlauf mit einer Schildkröte an. Weil Achilles ein stolzer Mann ist, gibt er der hoffnungslos unterlegenen Schildkröte einen Vorsprung. Bevor Achilles nun aber die Schildkröte überholen kann, muss er zuerst ihren Vorsprung einholen. In der Zeit, die er dafür benötigt, hat die Schildkröte aber einen neuen, wenn auch kleineren Vorsprung gewonnen, den Achilles ebenfalls erst einholen muss. Ist ihm auch das gelungen, hat die Schildkröte wiederum einen – noch kleineren – Weg-Vorsprung gewonnen, und so weiter. Der Vorsprung, den die Schildkröte zu jedem Zeitpunkt hat, werde zwar immer kleiner, bleibe aber dennoch immer ein Vorsprung, sodass sich der schnellere Läufer der Schildkröte zwar immer weiter nähern, sie aber niemals einholen und somit auch nicht überholen könne.
Zenon sagt weiter, dass ein fliegender Pfeil in jedem Moment seiner Flugbahn einen bestimmten, exakt umrissenen Ort einnimmt. An einem exakt umrissenen Ort befindet sich der Pfeil in Ruhe, denn an einem Ort kann er sich nicht bewegen. Da sich der Pfeil in jedem Moment also in Ruhe befindet, müsste er sich insgesamt in Ruhe befinden. Paradox: Wir nehmen aber an, dass der Pfeil fliegt.
Ein Raum lässt sich also nicht durchqueren, nimmt man logischerweise an, dass dieser Raum in viele Teile eingeteilt ist, die ich jeweils überqueren muss. Die erste Hälfte, dann die nächste Hälfte, die wiederum eine Hälfte hat, so dass ich zum Ende des Raumes nie gelange, mich bestenfalls unendlich annähern kann, indem ich die Hälften immer wieder halbiere. Auch umgekehrt kann ich ja noch nicht einmal einen ersten Schritt unternehmen, da ich schon hier die Halbierungen der Halbierungen vornehmen muss. Der Beweis für die absolute Ruhe und die Illusion von Bewegung.
Um dieses Problem der unendlichen Annäherung lösen zu können, brauchen wir die Dialektik.
Parmenides und Zenon dominierten die Philosophie lange, erst mit Platon und Aristoteles änderte sich dies. Daher spricht man von den so genannten Vorsokratikern, zu denen auch Parmenides und Zenon zählten.
Das Problem von Achilles besteht nun darin, dass eine Strecke zwar unendlich teilbar ist, aber nicht notwendig aus unendlichen Teilen besteht, sondern sich als Kontinuum verhält. Zenon muss in seinen Paradoxien voraussetzen, dass eine Hälfte endet und die nächste beginnt. Aber dem ist ja nicht zwangsläufig so, da die Hälften zusammenhängen (Kontinuum). Für die formale Logik bedeutet dies, dass sie als Verstandeslogik an eine Grenze stößt, wenn sie es mit Bewegung zu tun bekommt. Die Form der Verstandeslogik widerspricht dann der Welt, da die Verstandeslogik mit Grenzen arbeitet.

Das Dritte, das die Verstandeslogik ja ausschließt (tertium non datur), denn etwas ist oder es ist nicht, ein Drittes gibt es nicht, dies ist jedoch der Prozess der Veränderung von etwas.
Veränderung zu denken, heißt nun, in Widersprüchen zu denken. Aristoteles sagte dazu: Die Grenze ist nur der Möglichkeit nach.
Die Strecke ist zwar unendlich teilbar, aber als Strecke selbst endlich, womit wir es erneut mit dem Problem der Quadratdiagonalen zu tun haben. Ich habe zwar einen endlichen Balken für mein Haus, aber dieser Balken ist in sich unendlich. Die Geometrie kann ihn nicht messen. Die irrationalen Zahlen liegen somit zwischen zwei Zahlen. Die Zahl geht in einen Prozess über. Es gibt daher nur eine Grenze, in dem Augenblick wo das eine aufhört fängt das andere an. Daher müssen wir einen fundamentalen Unterschied zwischen Zusammenhang (Kontinuum) und Zusammengesetztem (Kontiguum) statuieren. Beides sind Begriffe aus der mechanischen Wissenschaft.
Hegel über einen voraussetzungslosen Anfang der Philosophie:
…Überhaupt kann auch die bisher als Anfang angenommene Bestimmung des Seins ganz weggelassen werden; es wird nur gefordert, dass ein reiner Anfang gemacht werde; es ist somit nichts vorhanden, als der Anfang selbst, und es ist zu sehen, was er ist.
Es ist noch Nichts, und es soll etwas werden. Der Anfang ist nicht das reine Nichts, sondern ein Nichts, von dem etwas ausgehen soll; es ist zugleich das Sein schon in ihm enthalten. Der Anfang enthält also beides, Sein und Nichts; ist die Einheit von Sein und Nichts; – oder ist Nichtsein, das zugleich Sein, und Sein, das zugleich Nichtsein ist.
Sein und Nichts sind im Anfange als unterschieden vorhanden; denn er weist auf etwas anderes hin; – er ist ein Nichtsein, das auf das Sein als auf ein anderes, bezogen ist; das anfangende ist noch nicht; es geht erst dem Sein zu. Zugleich enthält der Anfang das Sein, aber als ein solches, das sich von dem Nichtsein entfernt oder es aufhebt, als ein ihm entgegengesetztes.
Ferner aber ist das, was anfängt, schon, eben so sehr aber auch noch nicht. Sein und Nichtsein sind also in ihm in unmittelbarer Vereinigung; oder er ist ihre ununterschiedene Einheit.
Die Analyse des Anfangs gäbe somit den Begriff der Einheit des Seins und des Nichtseins,-…
Dieser zunächst kryptische Text von Hegel aus seiner Vorrede zur wissenschaftlichen Logik bedurfte natürlich einer ausführlichen Diskussion. Was Hegel hier macht, ist aber letztlich ganz einfach. Er reduziert alle Kategorien auf zwei, nämlich Sein und Nichts. Hegels Vorwurf Parmenides gegenüber ist dann, dass wenn alles unterschiedsloses Sein wäre, es mit dem Nichts gleichbedeutend sei. Daher wird das schlichte Wort „Anfang“ zu einem sehr wesentlichen Wort in dem Hegelschen Text. Der Anfang ist das, was noch nicht angefangen hat und nicht mehr nicht angefangen hat. Das ist das, was wir alle kennen, das JETZT. Sein und Nichts kommen nach Hegel zusammen, und nur so entsteht ETWAS. ETWAS ist damit bereits ein ausdifferenziertes Ding. Aber da Hegel ganz am Anfang beginnt, gibt es das ETWAS noch gar nicht, aber eben auch nicht nichts. Das Nichts kann man nicht denken. Jedes Denken ist ja schon vom Sein infiltriert. In dem Augenblick, wo man sich dem Nichts annähert, beginnt es zu flirren. Ein wenig ist das mit dem Prozess des Einschlafens erklärbar, denn wir wissen ja nie, wann genau wir eingeschlafen sind. Wir werden müde, sinken allmählich weg und plötzlich sind wir im Schlaf. Mit dem Aufwachen ist es dann ähnlich.
Die Diskussion darüber ist natürlich ein wenig merkwürdig, da dies zu abstrakt scheint. Aber der Witz ist, dass Hegel selbst sagt, dies sei konkret. So wird ja bei Hegel das Konkrete eigentlich abstrakt und das Abstrakte eigentlich konkret. Und das ist in der Logik folgerichtig. Hegel sagte einmal: Die Kategorien haben uns im Griff und nicht wir die Kategorien. Daher reduziert Hegel die Kategorien auf das Konkreteste schlechthin, auf die Kategorien Sein und Nichts und hier liegt der Anfang.
Der Begriff des Werdens tritt nun auf den Plan.
Hegel selbst:
Das Werden ist auf diese Weise in gedoppelter Bestimmung; als anfangend vom Nichts, das sich auf das Sein bezieht, das heißt, in dasselbe übergeht, oder vom Sein, das in das Nichts übergeht, – Entstehen und Vergehen.
Aber diese so unterschiedenen Richtungen durchdringen und paralysieren sich gegenseitig. Die eine ist Vergehen; Sein geht in Nichts über, aber Nichts ist eben so sehr das Gegenteil seiner selbst und vielmehr das Übergehen in Nichts, oder Vergehen.
Entstehen und Vergehen sind daher nicht ein verschiedenes Werden, sondern unmittelbar Eines und dasselbe…
Der letzte Satz ist entscheidend, da die Einheit von Entstehen und Vergehen als ein und dasselbe gezeichnet werden. Wenn ich einen Ort verlasse, bin ich irgendwo anders. Einen Ort kann ich nur verlassen, indem ich zu einem anderen Ort gehe. Aber aus dem anderen Ort folgt logisch meine Herkunft. Ich kann folglich nicht von zwei Orten gleichzeitig an einen anderen gelangen oder von einem Ort an zwei andere Orte gleichzeitig gelangen. Auch hinterlasse ich eine Spur, der man folgen kann. Wenn also ein Stoff verbrennt, dann entsteht Asche. Und da macht es nun mal einen Unterschied, ob man Papier oder einen Reifen verbrennt. Denn aus dem Vergehen resultiert das Entstehen des Neuen. Im Entstehenden sind die Bestandteile des Vergehenden enthalten. Damit wird negativ zu positiv. Denn im Resultat steckt die Negation der Negation.
Bestimmte Negation unterscheidet sich von der unbestimmten Negation der formalen Logik. Etwas ist oder es ist eben nicht, ist unbestimmte Negation, in der die Prozesshaftigkeit von Vergehen und Entstehen nicht enthalten ist. Mein Hiersein ist das Nichtsein des Ortes von dem ich herkomme, also die Negation des Hierseins.
Knapp formuliert könnte man auf die Frage, was denn nun Dialektik sei, antworten: Dialektik ist die Lehre von der bestimmten Negation.

Omnis determinatio est negatio. So formulierte es der Philosoph Baruch de Spinoza. Jede Definition, auch eine solche in welcher explizit nur auf das Vorhandensein bestimmter wesentlicher Merkmale bei den unter die Definition fallenden Objekte aufgeführt ist, enthält implizit stets auch eine Negation anderer gleichrangiger Merkmale für die infrage kommenden Objekte.
Ganz einfach formuliert: Wenn ich sage, dies ist eine Tasse, dann schließe ich den kompletten Rest der Seinsmöglichkeit in der Welt von der Tasse aus. Jede Bestimmung kommt von ihrer Verneinung, ihrer Negation. Die Verstandeslogik bricht notwendig zusammen, wenn die Negation unbestimmt bleibt. Wenn ich nur sage, dass etwas das nicht ist, dann bleibt die Negation unbestimmt. Es könnte weiter alles Mögliche sein. Und dieser Bestimmungsprozess ist der reale Prozess in der Welt, wie es die Metapher vom Ortswechsel schön beschreibt. Das Dasein ist somit das Verschwundensein des Verschwindens.
Bin ich an einem bestimmten Ort, ist der andere Ort, von dem ich herkomme an dem jetzigen Ort nicht da, aber als Ergebnis in seiner Negation eben sehr wohl.
Dass die Dialektik als Methode den Prozess der real geschieht erfasst, dass einer willkürlich gezogenen Grenze ein realer Prozess zugrunde liegt, das sollte doch eigentlich kein außergewöhnliches Geheimnis sein. Von daher ist es schon eigentümlich und von einem sehr merkwürdigen Widerstand Zeugnis ablegend, wenn das Wort Dialektik den Philosophen ins Abseits drängt, und jede Form von Metaphysik betreibenden Philosophen. Verstandeslogik ist absolut. Es kann niemand Zenon daran hindern, die Strecke zu unterteilen. Aber ebenso kann mich niemand daran hindern, die Strecke zu durchlaufen.
Diogenes, ein Zeitgenosse Zenons, soll mal einen Streit zwischen ihnen um das Kontinuum so gelöst haben, dass er einfach weggegangen ist. Diogenes war ein Praktiker, der es bedauerlich fand, dass er seinen Hunger nicht auf die gleiche Weise befriedigen konnte, wie seinen Sexualtrieb (durch ein paar Bewegungen mit der Hand).
Hegels Begriff von der Entwicklung kommt erstmalig in seiner Philosophiegeschichte vor. Seine Art über die Geschichte der Philosophie nachzudenken, ist sicherlich das große Novum seiner Philosophie.
Hegel selbst:
So fest der Meinung der Gegensatz des Wahren und des Falschen wird, so pflegt sie auch entweder Beistimmung oder Widerspruch gegen ein vorhandenes philosophisches System zu erwarten und in einer Erklärung über ein solches nur entweder das eine oder das andere zu sehen. Sie begreift die Verschiedenheit philosophischer Systeme nicht so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit, als sie in der Verschiedenheit nur den Widerspruch sieht. Die Knospe verschwindet in dem Hervorbrechen der Blüte, und man könnte sagen, dass jene von dieser widerlegt wird; ebenso wird durch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als unverträglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur nicht widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andere ist, und diese gleiche Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.
Die Geschichte der Philosophie folgt nach Hegel den Kategorien der Philosophie. Zur Erinnerung: Die Kategorien haben uns im Griff nicht umgekehrt.
Daher musste – nach Hegel – die Philosophie tatsächlich bei Parmenides beginnen und den wesentlichen Kategorien des Seins und des Nichts.
“Die Geschichte ist der Fortschritt des Bewusstseins der Freiheit“.
Die hier sich eröffnende teleologische Dimension Hegelschen Geschichtsverständnisses ist sicher alles andere als unproblematisch. Aber sie ergibt sich zwingend aus der Philosophie der Dialektik des Vergehens und Entstehens. Philosophiegeschichte ist daher ebenso wie beim Ortswechsel Negation der Negation.
Diesen Gedanken stellte Marx dann auf die Füße. So müssen wir den Prozess der Geschichte selbst studieren und stellen dabei fest, wie die Gesetze entstehen. Marx sieht hier die existenziellen Bedingungen des Menschen: Was müssen wir tun, um am Leben zu bleiben. In der menschlichen Geschichte entwickeln sich Verhältnisse heraus, aus den Produktionskräften. Die Produktionsverhältnisse werden zur Schranke der Produktionskräfte und dies führt zur Revolution. Dies folgt nicht etwa logischen Kategorien, sondern der Logik des Geschehens.
So wurden die Produktionsverhältnisse im feudalistischen Staat unhaltbar durch die technischen Innovationen (Buchdruck, Dampfmaschine etc..). Die Unvereinbarkeit der Verhältnisse mit den Kräften.
Bei Marx ist die Moral eine Funktion der Geschichte. Die Moral habe nur dann eine Chance, wenn sie einen historischen Rückenwind von den Produktivkräften bekommt. Ein moralischer Umgang miteinander wird zum Selbstzweck des Überlebens der Gattung. Kriege werden notwendig zu einem moralischen Übel, nicht weil der Mensch so moralisch sei, sondern sich aufgrund historischer Notwendigkeiten zu einer Moral aufrafft. Insofern lässt sich jede Krise als einen dialektischen Widerspruch begreifen, aus der uns die Negation der Negation in neue Dimensionen führt.
[1] Aus: Ein Himmel voller Zahlen, John D. Barrow, Spektrum, Seite 26)

Bernhard Horwatitsch https://www.literaturprojekt.com/
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