ZeitenGeist

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Einmal Straßenkunst und zurück

Thyra Thorn – Aus der Reihe: Franzi und Hannerl lesen Zeitung – Glosse – Gesellschaft

Einmal Straßenkunst und zurück

Franzi: „Wußtest du schon, dass es in der Stadt neuerdings scheußlich öde Betonflächen gibt?“

Hannerl: „Ja sicher, aber das darf man nicht zugeben. Keiner traut sich, das öffentlich zu sagen.“

Franzi: „Doch, die Stadtverwaltung! Jetzt soll die Polizei nicht mehr Ordnung und Sauberkeit aufrechterhalten und sich den Graffitisprayern, Straßenmalern und sonstigen Schmierern mutig entgegenwerfen. Auch wenn sie es noch so gern täte. Damit ist´s vorbei.“

Hannerl: „Unsere Ordnungshüter und Rechtsanwälte plötzlich arbeitslos? So ein Unglück. Da werden alle laut weinen!“

Franzi: „Ist noch nicht lange her, da waren bunte Häuser in der Stadt ‚optische Lärmbelästigung‘, ‚gestalterische Mißgriffe‘, gegen die man gerichtlich vorgehen musste, fast schon Pornographie.“

Hannerl nickt: „Ich kann mich gut erinnern: ‚Ein Zweckbau dürfe sich nicht zum Kunstwerk aufschwingen‘1 und dass ein buntes Haus sich quasi vordrängeln würde…“

Franzi: „… weil man dann erst so richtig merkt, wie scheußlich die Häuser daneben sind!“

Hannerl: „Das hat der Verwaltungsrat nicht gemeint.“

Franzi: „Egal, jetzt wird eh´ alles anders. Der Kulturreferent sagt (liest vor): Die Stadt ‚muss sich mutig weiterentwickeln, auch wenn dies nicht immer einfach ist und wenn Aspekte des Weltkulturerbes und des Denkmalschutzes zu beachten sind.‘2 Und um die öde, eintönige Vergangenheit zu überwinden, hat der Stadtrat einen spanischen Maler beauftragt, ein großes modernes Wandbild zu malen, schräg gegenüber der Porta Praetoria.“

Hannerl: „Was ist denn auf dem Bild zu sehen?“

Franzi: „Vogerl sind drauf und Mädchenköpfe, ein Nest, Blätter – alles riesengroß.“

Hannerl: „Das neue Bild drängelt also optisch gesehen eine zweitausend Jahre alte Römermauer weg und hat inhaltlich überhaupt nichts mit der Stadt zu tun?“

Franzi: „Nein, nein (liest vor) ‚das Werk…soll als ‚organischer Teil des Viertels wahrgenommen werden‘2.“

Hannerl: „Von wem?“

Franzi: „Wahrscheinlich von den Kreuzfahrttouristen, die vor unserem Heimatmuseum, Verzeihung – dem Museum für bayerische Geschichte -, an Land gehen. Die bewundern den riesigen Pappmascheelöwen vom Oktoberfest in der Eingangshalle und lassen sich von ihm zum Saufen im museumseigenen Wirtshaus anregen. Auf dem Weg zu unserem prächtigen neuen Klohäusl3 …“

Hannerl: „890 000,- € hat es gekostet. Da hat sich die Stadt nicht lumpen lassen!“

Franzi: „… auf dem Weg zum Klohäusl eine Straße weiter schauen die Touristen viel lieber auf bunte Vogerl und hübsche Mädchen als auf die schäbige Römermauer.“

Hannerl: „Da sehen die gleich, dass unsere bairische Kultur nicht nur bierseelig, sondern auch modern und farbenfroh ist.“

Franzi: „Naja, nicht überall. Bei mir im Dorf geht´s genau andersrum. Eine Zeitlang hatten wir eine wunderschön bemalte Unterführung und keiner hatte mehr Angst durchzugehen. Jetzt hat die Gemeindeverwaltung alles übertünchen lassen.“

Hannerl: „Ihr habt diesen neuen Bürgermeister, nicht? Der schaut eben zuallererst auf Ordnung und Sauberkeit.“

Franzi: „Ja, der war früher Polizist.“


1 http://www.carstenkruse.com/?portfolio=zu-bunt-fur-regensburg

2  Mittelbayerische Zeitung vom 22.10.22, S.22  „Die Kunst geht auf die Straße“

3 https://www.welt.de/regionales/bayern/article241670319/Beheizte-Bruecke-und-teures-WC-landen-im-Steuer-Schwarzbuch.html


Bild: Fotonachweis Floriana ©  FOTOKERSCHI.AT / KERSCHBAUMMAYR

Thyra Thorn ist Ethnologin (M.A.), bildende Künstlerin  und Autorin, seit 2016 Mitglied im deutschen Schriftstellerverband. Sie schreibt für österreichische, deutsche und schweizerische Literaturzeitschriften und Kulturjournale. Ihr neuester Roman: „Luxus?“ ist im April 2022 im PänK Verlag herausgekommen.

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