Von Bernhard Horwatitsch – Gesellschaft – Bewusstsein – Philosophie
Hegel auf Kant

Das Wahre ist das Ganze (Hegel)
Es gibt eine alte Nebenschrift von Immanuel Kant, die Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Schon im Titel offenbart sich der kosmopolitische Ansatz des Aufklärers Kant. Kant benutzt hier den Begriff der „Idee“, was für ihn ein Terminus technicus ist. Kant versteht unter der Idee ein regulatives Ordnungsprinzip. Während unsere sinnliche Anschauung die Phänomene in Zeit und Raum feststellen kann und man sich darauf verlassen kann, dass alles was erscheint sich in Zeit und Raum befindet und das in festen Kategorien des Verstandes, nach Prinzipien der Kausalität oder als einzelnes oder vieles, notwendig oder zufällig, ist das mit den Ideen anders.
Ideen sind regulativ. Das heißt, dass sie eine Norm bilden. Bei Immanuel Kant gibt es drei regulative Prinzipien, bestehend aus der Homogenität, Spezifikation und der Kontinuität. Hunde und Pferde sind Tiere. Das heißt das Einzelne ordnet sich dem Allgemeinen unter und umgekehrt findet sich immer noch eine Einteilung des Einzelnen. Dackel und Pinscher sind zwar Hunde, aber sie unterscheiden sich eben auch wieder spezifisch voneinander. Aber sie sind miteinander auch verwandt, das ist die Kontinuität. Diese Ordnung der Dinge ist nicht transzendental (transzendental ist eine Erkenntnis an sich, wie zum Beispiel „ich denke also bin ich“) gerechtfertigt, sondern subjektiv. Man kann alles auch anders einteilen.
Wenn Kant in diesem oben erwähnten Aufsatz von einer Idee der allgemeinen Geschichte spricht, dann möchte er den historischen Fortschritt als ordnende Idee verstanden wissen. Mehr nicht. Gott, Willensfreiheit und Unsterblichkeit der Seele werden in seiner praktischen Vernunft als Ideen gesehen, die man sinnvoll annehmen sollte. Man kann weder die Existenz Gottes beweisen, noch die Freiheit unseres Willens und genau so wenig die Unsterblichkeit der Seele. Doch Gott ist als höchstes Gut und sittliche Vollendung eine leitende Idee. Die Willensfreiheit ist eine Voraussetzung für Moralität. Beweisen kann man es nicht, aber ohne die Freiheit des Willens würde man kein Gesetz gestalten können. Wozu? Die Unsterblichkeit der Seele ist eine Idee, die uns antreibt, immer weiter voran zu schreiten und unser individuelles Ende nicht nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ zu leben. Ohne die Idee von der Unsterblichkeit der Seele fehlt uns ein gewaltiges Stück generativer Verantwortung.
Hegels Weltgeschichte erhebt dagegen den Anspruch einer transzendenten, also über das Subjekt hinausgehenden Erkenntnis. Hegel operiert hier mit einer durchgehenden Dreierregel. Es gibt den subjektiven Geist, den objektiven Geist und den absoluten Geist. Diese Dreischritte haben Sie bei Hegel immer. Daher kann man Hegel gut lesen, wenn man daran denkt, dass alles bei ihm gedrittelt wird. Aber Hegel denkt sich diese Drittel nicht als Linie, sondern als eine Art Kreis. Denn jedes Drittel ist immer mit vorhanden. Fortschritt ist für Hegel daher kein Hinauf, sondern ein Streben nach Vollendung. Und das Unvollendete ist ein Teil des Vollendeten geworden.

Der subjektive Geist ist ebenfalls in drei Teile zerlegt in die Seele (Sinne), das Bewusstsein (Selbstreflexion) und den Geist (Selbstbestimmung).
Der objektive Geist ist in die normative Ordnung von Recht, Moral und Sitte gedrittelt. Hegel unterscheidet also Moral und Sitte. Das macht Kant nicht. Für Kant sind Moral und Sitte gleichbedeutend. Bei Hegel beginnt es mit dem abstrakten Recht, das einfach Regeln zum Eigentum, Vertrag etc. aufstellt und klärt was Recht und Unrecht ist. Das beginnt im Grunde mit den Vieh züchtenden und Ackerbau treibenden Barbaren. Er nennt hier explizit die Ehe und den Ackerbau als maßgebend. Für ihn war die Ehe ein sittliches Verhältnis in dreierlei Hinsicht. Das hat der Alte (wie man ihn im Tübinger Stift nannte) auch mit dem Wort „Aufheben“ gemacht. Einerseits kann man etwas aufheben im Sinne der Negation, dann kann man es aufheben um es zu bewahren und zugleich aufheben im Sinne des Emporhebens. So sah Hegel die Ehe als Aufheben der Romanze und Überführung, Emporheben und Bewahren als eheliche Verbindung. Ein schöner Gedanke.
Die Moral ist dann die normative Verinnerlichung dieser Regeln in Form des Empfindens von Schuld und Vorsatz, Absicht und Wohl, das Gute und das Gewissen. Hier bestimmen der Wille und die Reflexion des Willens, indem sich das Subjekt selbst bestimmt. Doch die Sittlichkeit ist bei Hegel als dritte Stufe überindividuell in drei Weisen vorhanden. Die Familie in Form von Liebe, da die Familie unmittelbare Substantialität des Geistes darstellt und somit die Grundlage jedes Individuum ist. Dabei ist auch die Auflösung der Familie wichtig, da sie zu weiteren Familiengründungen führt. Wenn man sich nicht löst von seinen Eltern, dann steht die Entwicklung still in irgendwelchen Sippen.
Aus all diesen Familien bildet sich naturgemäß die bürgerliche Gesellschaft, die eine Form der Kooperation der familiären Eigeninteressen darstellt. Und aus dieser bürgerlichen Gesellschaft formt sich der Staat als wahre Vereinigung aller Individuen und Wirklichkeit der Sitten.
Der Staat ist bei Hegel nicht das Volk. Vielmehr ist der Staat die formelle Verallgemeinerung des Geistes, der Völkergeister.
Der objektive Geist drückt sich bei Hegel in den Grundlinien der Philosophie des Rechts aus. Ein Volk ist für ihn noch lange kein Staat. Dazu bedarf es der Realisierung der Form des Rechts. Das vollziehen seine Völkergeister. Und bei Hegel ist der Krieg die Triebfeder zur Bildung von Recht. Was er das Heroenrecht zur Stiftung von Staaten nennt.
Der absolute Geist ist als Kultur in Kunst (Anschauung und Bild), Religion (Gefühl und Vorstellung) und Philosophie (reiner, freier Gedanke) gedrittelt.

Während Kants Weltgeschichte eine kosmopolitische Idee vom Fortschritt ist, nur als regulatives Ordnungsprinzip gedacht und keineswegs gewährleistet, ist Hegels Weltgeschichte eine Art Gerichtsgebäude, das die Verwirklichung des allgemeinen Geistes auslegt. Hegels Ordnungsprinzip erhebt den Anspruch einer transzendentalen Erkenntnis, gipfelnd in Hegels berühmten Satz: Was wirklich ist, ist vernünftig und was vernünftig ist, ist wirklich. In diesem hegelschen Sinn haben wir noch keine Wirklichkeit vorliegen, da sie sich noch nicht voll verwirklicht hat. Und wir haben auch keine vollständige Vernunft vorliegen, da die Wirklichkeit noch wirkt.
Viele verstehen nicht, dass dieser Dreischritt kreisförmig verläuft. Sie halten Hegels Philosophie daher für brisant und behaupten, Hegel würde so auch eine Diktatur als sittlich ansehen. Das stimmt aber nicht. Der Staat als höchste sittliche Wirklichkeit bürgt für das abstrakte Recht und dieses abstrakte Recht schafft die Moralität des Subjekts, indem das Subjekt dieses abstrakte Recht verinnerlicht und daraus entsteht die Sittlichkeit des Staates, der wiederum das abstrakte Recht verbürgt. Da im Kern die Familie das Zentrum der bürgerlichen Gesellschaft ausmacht und die Kooperation der Familien Grundlage der Sittlichkeit sind, und in Folge dessen, dass auch die Auflösung der Familie in Form von Neugründungen der Familie für einen konsequenten historischen Fortschritt sorgt, erfüllt sich die Sittlichkeit des Staates als wahrer Vereinigung aller Individuen.
Es ist schon aus diesem Blickwinkel klar, dass die aktuellen nationalen Politiken als spektakuläre postlibertäre Demokratien nicht den allgemeinen Geist spiegeln, sondern als Auflösungstendenz der nationalen Einheiten die Weltgeschichte vorantreiben. Die globalen Machtverhältnisse spiegeln sich nicht im Entferntesten in den nationalen Politiken. Während der Absolutismus sich in Hegels Zeitalter auflöste, löst sich nun die nationalliberale Demokratie auf. Der Verlauf: Theokratie – Aristokratie – Absolutismus – Demokratie – und wieder zur aufgehobenen, emporgehobenen Theokratie. Die Auflösung der römischen Demokratie mündete in den Absolutismus. Der Kaiser geht einher mit substantiellen theokratischen Ambivalenzen. Die gesamte Geschichte ist in jedem einzelnen Geschichtsabschnitt vorhanden. Es ist immer die Summe der Weltgeschichte da und das Einzelne kann sich nicht unabhängig von der Summe verwirklichen. Das Endliche und das Unendliche war einst eine Einheit, wurde in der Verwirklichung des Subjekts gespalten und hat sich dann erneuert im Recht. Gegen diese Wucht von Hegels Philosophie des Geistes ist Kant nur ein holzköpfiger Beamter, ein Kategorien sabbernder, Normen hustender Pfeifenraucher. Aber Kant ist der ältere von beiden und Hegel blamierte sich, als er Napoleon für den personifizierten Weltgeist hielt.
Bernhard Horwatitsch https://www.literaturprojekt.com/
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