ZeitenGeist

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Krummes Holz

Von Bernhard Horwatitsch – Gesellschaft

Krummes Holz

Nein, ich bin kein Humanist. Nicht einmal Demokrat. Ich bin auch kein Satanist oder Monarchist. Ich habe in nun beinahe 60 Lebensjahren so meine Erfahrungen gesammelt und bin die restliche Lebenszeit damit beschäftigt einen halbwegs passenden Meinungsschuh daraus zu basteln, irgendwas aus all dem zu zimmern, was halbwegs bewohnbar ist. Und nur weil ich hier in dieser Welt lebe, in ihr geboren und erzogen wurde, akzeptiere ich die gängige Anschauung, dass die Demokratie die bestmögliche Staatsform wäre. Und ich akzeptiere weitestgehend die Grundlagen des Humanismus die Würde des Menschen zu achten, ein gewaltfreies Leben anzustreben in der jeder seine Meinung frei äußern darf. Aber ich bin weder Demokrat noch Humanist. Ich bin nun alt (betagt sagt man heute), also grau und mit leicht überschrittenem Verfallsdatum naturgemäß angesäuert. Alte weiße Männer sehen die Welt wie sie ist, bzw. halten sie dafür, sind geneigter (krümmer) geworden, die Welt für das zu halten, was sie ihrer Ansicht nach sei. Das ist typisch für einen Geist, der schon müde wird, aber diesen Zustand noch nicht mitbekommen hat, sich also für wacher hält, als er ist. Auch einer der berühmtesten Sätze der letzten Jahrhunderte (aus dem Jahr 1784) stammt von einem Mann in diesem Alter, von dem 1724 geborenen Immanuel Kant, der ihn in einer kleinen Nebenschrift mit dem Titel „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ aufschrieb. Das ist ein Text mit neun längeren Sätzen – also kein allzu langer Text – in dem sich der preußische Sohn eines Sattlers mit der Vorstellung beschäftigt, dass die menschlichen Naturanlagen einem bestimmten Zweck dienten und entwickelt werden sollten. Nach Immanuel Kant eigne sich dazu die republikanische Staatsform am besten. Dazu bedarf es auch einer Geschichtswissenschaft, die sozusagen die Fortschritte dokumentiert, die der Mensch beim Ausbau seiner Naturanlagen mache.  Alle Kultur und Kunst, die schönste gesellschaftliche Ordnung schreibt  Kant im fünften Satz, sind Früchte der Ungeselligkeit. Durch unsere Disziplin haben wir der Natur diese Kunst abgedrungen (entrissen). Doch ohne äußeren Zwang würden wir nach unserem Wohlgefallen in wilder Freiheit leben und folglich nicht lange überleben. Im sechsten Satz schreibt er: Der Mensch ist ein Tier, das, wenn es unter andern seiner Gattung lebt, einen Herrn nötig hat. Das ist konsequent. Denn Disziplin bedarf der strengen Zucht. Doch Kant erkennt den Widerspruch sofort und folgert daraus die Schwierigkeit, dass das höchste Oberhaupt der Menschen einerseits gerecht sein sollte, aber dennoch ein Mensch ist. Das ist die schöne Idee der Monarchie, dass das Oberhaupt von Staat und Kirche durch seine Gottnähe der menschlichen Neigung zur Faulheit und wilder Freiheit entrückt ist. Aber Kant ist überzeugter Republikaner. Es besteht also ein eklatanter Widerspruch darin, dass wir Menschen nicht ohne Führung leben können, aber der Anführer auch nur ein Mensch ist, der eigentlich geführt werden müsste. Diesen Widerspruch kann Kant nicht auflösen und daraus folgt jetzt dieser berühmte und gern zitierte Satz Kants: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts Gerades gezimmert werden.

Kant hat also keine sehr hohe Meinung vom einzelnen Menschen, vom Individuum. Immerhin sind wir – laut Kant – in der Lage von der Welt in der wir leben uns einen richtigen Begriff zu machen (durch die Wissenschaft).  Dies, etwas Erfahrenheit in der Welt und etwas guter Wille, reichen nach Kant wohl aus, um auf lange Sicht eine gerechte und friedfertige Gesellschaft zu schaffen. Dazu aber sollte sich der Mensch frei entfalten können, um seine Naturanlagen so weit als möglich ausbilden zu können.
Das sind nun aber schon eine ganze Menge Widersprüche, die Kant da aufgehäuft hat. Denn nicht nur ein gerechtes Oberhaupt ist unter den krummen Hölzern schwer zu finden, auch gute und vernünftige Lehrmeister sind ja Menschen, und folglich krumm.  Und wie lässt sich äußerer Zwang zur Entfaltung meiner Naturanlagen (Beispiel Schulpflicht) mit der freien Entfaltung vereinbaren?  Kant sieht das mit der Freiheit ganz pragmatisch. In der Metaphysik der Sitten schreibt er es so: Das Meer gehört dem Herrn der Küste, so weit von da die Kanonen reichen. Das offene Meer ist frey. Damit ist klar, dass die freie Entfaltung des Menschen unter der Vorstellung Kants nur dann würdig sich entwickelt, wenn ihr äußerer Zwang entgegengesetzt wird. Aus dieser Dualität entsteht Disziplin, die dem äußeren Zwang begegnet. Das ist fein beobachtet und ein Wissen aus der Natur. Aber haben wir denn wirklich nichts Besseres verdient, als eine Gesellschaft nach dem Vorbild der Natur? Wäre das nicht sozialdarwinistisch? Wir sind damit schon nachweislich und trotz Kant viel weiter als Kant.
Auch wenn wir gerade wieder einmal Krieg spielen soweit unsere Kanonen im Sinne Kants reichen und Existenzen damit verspielen: Wir sind besser als die Meinung alter weißer Männer über uns. Wir sind auch besser als meine Meinung über uns. Ich bin – ich wiederhole es gerne – weder Demokrat noch Humanist, und doch hat mich diese Gesellschaft dazu gebracht diese Werte zu schätzen und auch zu vertreten. Bin ich ein Heuchler? Nicht wenn ich einsehe, wie uneinsichtig ich sein kann. Oder um Viktor Frankl zu zitieren: Man muss sich nicht alles von sich selbst gefallen lassen. Auch nicht die eigenen Meinungen, möchte ich hinzufügen.
Natürlich sind die Herren die uns führen so krumm wie wir selbst. Das ist Kennzeichen der Demokratie, in der wir die Herren die uns führen selbst wählen. Nach der Wahl glauben diese krummen Herren manchmal, sie seien jetzt gerade gezimmert. Das ist das Problem mit der Macht. Ein Leitbild ist die Vorstellung von etwas Besserem. Manchmal verknüpfen wir unser Leitbild mit einem Portrait und orientieren uns an Einzelpersonen. Das macht uns und auch die Herren nicht gerade. Das Wunder besteht darin, dass jeder Einzelne eine Vorstellung über das Bessere hat und Begriffe dafür. Und das sind Ideen. Wir sehen das Gerade nicht in der Natur. Die Natur ist mindestens so krumm wie wir, die wir ja aus ihr stammen. Woher kommt denn nur diese Idee des Guten, Besseren, Geraden?  Frieden ist besser als Krieg, aber nicht jeder Frieden. Was ist gerecht? Was ist der Wert des Menschen? Kant sah die Ideen ganz pragmatisch als nützlich an. Sie können auch anders sein. Darin sind wir frei. Ideen gibt es viele. Doch nicht jede Idee ist nützlich, und nicht jede nützliche Idee ist auch zugleich das Bessere, Gerechtere, Geradere.

Mein ohnehin schon grauer Bart wurde beim Versuch Ordnung in diese Sachen zu bringen nur noch grauer. Und zugleich quält mich der Gedanke, dass diese Ordnung nicht notwendigerweise besser ist. Oder nützlicher. Zum Ende dieses Textes kann ich immerhin sagen, dass ich für einen Vormittag ungesellig war und mit Disziplin der ungebundenen, wilden Freiheit des Denkens ein wenig Wohlgefallen abgedrungen habe. Nicht mehr ganz so krüppelig, schief und krumm als zuvor. Aber da ich nur ein Mensch bin, noch lange nicht gerade. 

Bernhard Horwatitsch https://www.literaturprojekt.com/




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