Thyra Thorn Aus der Reihe: Franzi und Hannerl lesen Zeitung – Glosse – Gesellschaft
Zuviel Gefühl

Franzi: „Heute geht’s in der Zeitung ja wieder recht g´fühlig zu.“
Hannerl: „’Gefühlig‘ ist überhaupt kein Wort.“
Franzi: „Ich mein´ gefühlt gefühlsbetont, aber irgendwie nicht echt. Man tut so, als wären alle vollgefüllt mit Gefühlen.“
Hannerl: „Ich hab schon Gefühle – zum Beispiel angesichts einer halben Portion Bioente auf der Wies´n. Die tät ich mir zwar furchtbar gern leisten, kann aber keine 53,- € zahlen. Da fahren meine Gefühle sofort Achterbahn und das auch noch ganz umsonst. Tät´ ich allerdings mit meinen Gefühlen mitfahren wollen, müsste ich 9,- € zahlen.“
Franzi: „In der Zeitung geht’s mehr um die großen Gefühle angesichts von Energiekrise, Krieg, Corona, permanentem Wohlstandsverlust und Weltuntergang. Da gäbe es ’nicht viele Hoffnungszeichen‘1 und sowieso ‚kein Vertrauen‘ in die Politiker, ‚die Klimaziele seien nicht zu schaffen‘ und der Senf bald nicht mehr bezahlbar.“
Hannerl: „Weil du ihn überall dazugeben musst.“
Franzi: „Die Bäckereien gehen erst in die dreimonatige Habeck´sche Sonderfreizeit und danach in unbezahlten Dauerurlaub. Also gibt’s von der Wurstsemmel bald nur noch die Wurst. Macht dir das keine Sorgen?“
Hannerl: „Ess´ ich auf der Wies´n eben einen Burger!Beziehungsweise, ich fahr erst Achterbahn, dann ist mir schlecht und ich bin nicht mehr hungrig.“
Franzi: „In offensichtlichem Gegensatz zu dir haben – zumindest nach dem Zeitungslesen – ganz viele Bürger Angst und für die gibt’s ein paar Seiten weiter Verständnis und Hilfe. Zum Beispiel vom Sven Hannawald, der nach dem Skifliegen mitten im Burnout gelandet ist und weiß: ‚wo ganz unten ist‘2. Anleitung zur Entspannung findet man da und eine Seite weiter hat es sogar einen Buchtipp: ‚Achtsam bei Angst‘.“

Hannerl: „Trink ich halt ein Bier mehr, dann ist die Angst weg! Das ist billiger und ich muss kein Buch lesen.“
Franzi: „Saufen als Krisenbewältigung? Dann solltest du zum Seelenklempner gehen!“
Hannerl: „Saufen ist gute alte Tradition!“
Franzi: „In der Zeitung empfehlen sie bei Verdacht auf Krisenangst die Beantwortung eines Fragebogens. Da weisst du dann gleich, ob du ängstlich und bekümmert bist.“ (liest vor) „Sie fühlen sich mental erschöpft? Sie sind leichten Herzens? Sie sind bekümmert? Sie haben Probleme, sich zu entspannen?“
Hannerl: „Krass!3“ (denkt kurz nach) „Aber wenn ich die Frage: ‚Sind Sie bekümmert?‘ mit ‚ja‘ beantworte, dann weiß ich doch schon, dass ich bekümmert bin. Wozu muss ich dann zum Arzt?“
Franzi: „Statt zu saufen könntest du auch atmen.“
Hannerl: „Tue ich doch eh´ schon.“
Franzi: „In einem bestimmten Rhythmus! Dazu bräuchtest du allerdings einen Atemtakter.“
Hannerl: „Wenn ich uns vorher vier Bier aus dem Supermarkt hole, zahle ich vier, fünf Euro. Im Zelt kostet eine Mass 12,80 €.“
Franzi: „Du meinst, wir sollten vor der Wies´n erstmal ‚vorglühen‘?“
Hannerl: „Wie früher vor der Disko.“
Franzi: „Genau das machen wir. Da fühl´ich mich gleich wieder jung.“

Anmerkungen:
1 Mittelbayerische Zeitung vom 29. September 22
2 Mittelbayerische Zeitung vom 30. September 22
3 KRASS: Kurze Regensburger Angst und Stress Skala http://prof-loew.de/data/documents/KRASS_Fragebogen_V2.pdf

Thyra Thorn ist Ethnologin (M.A.), bildende Künstlerin und Autorin, seit 2016 Mitglied im deutschen Schriftstellerverband. Sie schreibt für österreichische, deutsche und schweizerische Literaturzeitschriften und Kulturjournale. Ihr neuester Roman: „Luxus?“ ist im April 2022 im PänK Verlag herausgekommen.

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