Thyra Thorn Aus der Reihe: Franzi und Hannerl lesen Zeitung – Glosse – Gesellschaft

Wieder jung
Franzi: „Servus Hannerl. Ja, wie siehst du denn aus! Schlaghose, knallblauer Lidschatten, Pudelfrisur! Man könnte meinen, wir leben wieder in den Siebzigern! Dreh dich, lass dich mal anschauen.“
Hannerl: (zupft neckisch an ihren Miniplilöckchen): „Heute fühl´
ich mich halt wieder jung.“
Franzi: „Gleich um fünfzig Jahre verjüngt? Pass auf, dass es dich nicht von deinen Plateauschuhen haut!“
Hannerl: „Beschwingt, lebenslustig, frei. Zu verdanken hab´ ich das unseren bairischen Politikern. Zuvorderst Herrn Söder, den angesichts einer Bronzebüste von Franz Josef Strauss immer noch allerhand politische Inspirationen überkommen.“
Franzi: „Und jeden Morgen lobhudelt er seinen geistigen Ziehvater mit einem kräftigen: ‚Halleluja, Ehre sei Dir, oh Altvater bairischer Spezlwirtschaft‘?“

Hannerl: „Da die meisten unserer Altersgenossen eh´ schon alles vergessen haben und die Jungen von nichts wissen, braucht sich unser Landesvater nicht seines Vorbilds schämen!“
Franzi: „Doch.“
Hannerl (unbeeindruckt): „Groß meine Freude auch beim Lesen der heutigen Zeitung1!Da meldet sich nämlich ein alter Kämpfer für Recht und bairische Ordnung wieder zu Wort – unser Innenminister Herrmann.“
Franzi: „In den Siebzigern bereits Vorsitzender vom RCDS? Das Urgestein der CSU? Wie alt ist der eigentlich – hundertdrei?“
Hannerl: „Übertreib´ nicht! Jedenfalls kämpft er mit ungebrochener Tatkraft gegen die bösen Extremisten. Gegen all die, ‚die Misstrauen gegen den Staat säen und nachvollziehbare Ängste durch demokratiefeindliche Propaganda immens wachsen lassen.‘ Schlimmer noch: gar ’staatliches Handeln in Misskredit‘ bringen.“
Franzi: „Das sah man allerdings schon vor fünfzig Jahren nicht gern. Schon damals hätte man dem Volk das Vertrauen in den Staat gern nachhaltig eingebläut. Und ich meine mich zu erinnern, dass die Wortwahl die Gleiche war.“
(kramt in einer Kiste und findet nach einigem Suchen eine alte ‚Stoppt-Strauß-Plakette‘, heftet sie Hannerl an die Fransenweste)
„Jetzt ist alles wie früher!“
Hannerl: „Danke dir, meine Liebe.“
Beide: „Darauf einen Dujardin!“

Anmerkung
1 Mittelbayerische Zeitung vom 9.9.22, S. 10 „Extremisten lieben Krisen“

Thyra Thorn ist Ethnologin (M.A.), bildende Künstlerin und Autorin, seit 2016 Mitglied im deutschen Schriftstellerverband. Sie schreibt für österreichische, deutsche und schweizerische Literaturzeitschriften und Kulturjournale. Ihr neuester Roman: „Luxus?“ ist im April 2022 im PänK Verlag herausgekommen.

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